Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Thorstein Veblen und der demonstrative Konsum

Thorstein Veblen (1857-1929) hat den Begriff des demonstrativen Konsums geprägt. Er gehört zu den wenigen konsumtheoretischen Ausdrücken, die Eingang in unsere Alltagssprache gefunden haben. Worum ging es dem Ökonomen? Und wo würde er einkaufen?

Thorstein Veblen

Leben und Karriere des in den Vereinigten Staaten geborenen Sohnes norwegischer Auswanderer verliefen unstet: eine siebenjährige Arbeitslosigkeit gehörte ebenso dazu wie Entlassungen von der University of Chicago und der Stanford University aufgrund von außerehelichen Verhältnissen.

Thorstein Veblen

Doch derselbe Veblen zählte auch zu den Mitgründern der renommierten New School for Social Research in New York, inspirierte mit seinen Lehren Roosevelts Reformpolitik des New Deal und prägte einflussreiche Denker wie David Riesman und Pierre Bourdieu.

Theorie der feinen Leute

Veblens berühmtestes Buch erschien 1899. Es heißt The Theory of the Leisure Class. An Economic Study in the Evolution of Institutions, in deutscher Übersetzung: Theorie der feinen Leute. Mit bösem Blick beschreibt Veblen darin die von ihm so genannte müßige Klasse derjenigen, die aufgrund ihres Reichtums nicht arbeiten müssen. Vor allem im dritten („Der demonstrative Müßiggang“) und vierten („Der demonstrative Konsum“) Kapitel widmet er sich dem Geltungskonsum (conspicuous consumption), bei dem Verbraucher mit dem Kauf prestigereicher Güter zeigen wollen, dass sie sich etwas leisten können. Die Volkswirtschaftslehre spricht seither vom Veblen-Effekt und von Veblen-Gütern, wenn Konsumenten Produkte als Statussymbole selbst dann kaufen, wenn deren Preise ansteigen.

Theorie der feinen Leute

Der vielfach für seinen Stil gepriesene Klassiker ist in Wahrheit umständlich geschrieben, voller Verschachtelungen und ermüdender Wiederholungen. Ihm fehlen empirische Belege und wissenschaftliche Anmerkungen. Zugleich besticht das Buch durch die Fülle seiner Beobachtungen und eine Vielzahl anregungsreicher Einsichten. Ginge es beim Konsum lediglich um die „Sorge um die Existenz“ und den „Wunsch nach materiellem Komfort“, so Veblen, ließe sich das unendliche Wachstum der Wirtschaft nicht erklären. Der Schlüssel dazu liege viel mehr im „neiderfüllten Vergleich“, in der Konkurrenz um Prestige und Ansehen.

Der Zeigewert käuflicher Dinge

Veblen geht davon aus, dass es in der modernen Gesellschaft „das Eigentum – im Gegensatz zur heroischen Tat – ist, welches zum leicht erkennbaren Beweis des Erfolgs und damit zur gesellschaftlich anerkannten Grundlage des Prestiges wird“. Mit der Anhäufung der Güter verfolge der Mensch kein anderes Ziel „als sich eine hohe Stellung in der Gesellschaft zu erobern, die an der Menge des Geldes gemessen wird“. Veblen erkennt, mit anderen Worten, dass die Waren einen Zeigewert haben, dass sie etwas bedeuten:

„Um Ansehen zu erwerben und zu erhalten, genügt es nicht, Reichtum oder Macht zu besitzen. Beide müssen sie auch in Erscheinung treten“
„In jeder hochindustrialisierten Gesellschaft beruht das Prestige letzten Endes auf der finanziellen Stärke, und die Mittel, um diese in Erscheinung treten zu lassen, sind Muße und demonstrativer Konsum.“

Veblen geht sogar so weit zu behaupten, dass der Zeigewert der Dinge als unentbehrlicher empfunden werden kann als existentielle leibliche Bedürfnisse. So erklärt sich der Rang, der etwa Fernsehern, Mobiltelefonen oder Automobilen in Elendsquartieren zugemessen wird. Auch Konsumverzögerungen, partieller Verzicht und die Wahl nach außen kaum sichtbarer exquisiter Güter dienten letztlich dem Ziel noch wirksameren Geltungskonsums:

„Keine Klasse nicht einmal die allerärmste, versagt sich jeglichen demonstrativen Verbrauch.“

So treffend Veblens Einsicht in den Zeigewert käuflicher Dinge ist, so wenig überzeugt seine Behauptung, dieser Zeigewert beschränke sich auf die Demonstration pekuniärer Potenz. Tatsächlich ist das Bedeutungsspektrum von Konsumobjekten weitaus vielfältiger. Ein iPhone kann nicht nur finanzielle Stärke kommunizieren, sondern auch Werte wie Kreativität oder Coolness. An einigen Stellen des Buches wird bei genauer Lektüre deutlich, dass Veblen dies im Grunde selbst erkannt hat. Denn in entwickelten Konsumkulturen ist nicht das Geld die entscheidende Prestigereferenz, sondern die Antwort auf die Frage, was zu konsumieren sei und wie es zu konsumieren sei. Unter Wohlstandsbedingungen, wenn sich die meisten das meiste leisten können, werden Kennerschaft und Kultiviertheit zu maßgeblichen Unterscheidungsmerkmalen. So lag Veblen etwa mit seiner Prognose daneben, künftig werde „der Wert des demonstrativen Konsums jenen der demonstrativen Muße weit überflügeln“. Tatsächlich ist unter gestressten Gutverdienern Zeitsouveränität längst zum kostbarsten aller Prestigegüter geworden.

Adornos Kritik an Veblen

In einem auch heute noch erstaunlich aufschlussreichen Aufsatz hat Theodor W. Adorno Veblen 1941 vorgehalten, dass dieser Kultur stets – von der Frühzeit bis zur Moderne – auf den Zweck des Zeigens (Adorno gebraucht das Wort Ostentation) zurückführe und sie dadurch zur Werbung verkommen lasse:

„Hat heute die Kultur den Charakter der Reklame, des bloßen Kitts angenommen, so ist sie bei Veblen nie etwas anderes gewesen als Reklame, als Ausstellung von Macht, Beute, Profit. In großartiger Misanthropie schiebt er alles beiseite, was darüber hinausgeht.“

Doch Kultur – so Adorno – lässt sich nicht auf den Nutzen der Selbstdarstellung reduzieren, sie hat einen Eigenwert, der das auf Zwecke ausgerichtete wirtschaftliche Denken und Handeln unterläuft. Das gilt sogar – möchte man ergänzen – für käufliche Dinge: bisweilen stehen sie nicht nur für etwas anderes, sondern sind ganz einfach das, was sie eben sind: stoffliche, widerspenstige, anwesende Dinge.

Wo würde Veblen einkaufen?

Die Allgegenwart der Markenartikel dürfte ihm einiges an Kopfzerbrechen bereiten. Soll man auf sie verzichten, um nicht platt mit Logos Prestige auszudrücken? Oder sollte man sie gerade bewusst wählen, um damit zu zeigen, dass man nicht zeigen will, dass man nichts zeigen will? Vermutlich würde Veblen sich dem Konsum so weit wie möglich verweigern. Seit 1927 lebte er zurückgezogen in einer Holzhütte im kalifornischen Menlo Park. Ausgerechnet an jenem Ort, an dem der vereinsamte Kritiker des Selbstdarstellens am 3. August 1929 starb, befindet sich seit 2011 der Hauptsitz von Facebook.

Thorstein Veblen: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2007. 11,80 Euro.

Foto: Wikimedia Commons

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3. April 2015