Der Blog von Dirk Hohnsträter
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In cigarro veritas. Rauchen mit Hermann Burger

Heute vor 25 Jahren wählte der Schweizer Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Feuilletonist Hermann Burger den Freitod. Seine „Verausgabungskunst“, wie Ulrich Horstmann Burgers Schreiben in einem Nachwort zur kürzlich erschienenen Werkausgabe treffend charakterisiert, ist zu Unrecht in Vergessenheit geraten. INVENTUR erinnert an einen exzentrischen Autor, der seinen Ferrari und kubanische Zigarren zu schätzen wusste.

Hermann Burger Brenner

Brenner von Hermann Burger: Rauchen als Formprinzip

„Drei hohe Cs bestimmten mein Leben“, ließ Burger sein romanhaftes Alter Ego Hermann Arbogast Brenner sagen, „das Cimiterische, das Cigarristische und das Circensische.“ Tatsächlich durchziehen nicht nur artistische Virtuosität und ein illusionsloser Umgang mit dem Tod Burgers Schaffen, sondern auch dessen Leidenschaft für Zigarren. Von Burger stammen vorzügliche Tabak-Texte, sah doch der Autor „das Aroma der würzigen Blätter als Pneuma, das uns mit den Vorfahren, mit der göttlichen Inspiration verbindet.“ Seinen Höhepunkt erreicht das „Cigarristische“ in der unvollendet gebliebenen Roman-Tetralogie Brenner, die nun im Rahmen der Werkausgabe wieder lieferbar ist. Sie erzählt die Lebensgeschichte eines Erben der Zigarrendynastie Brenner Söhne AG im aargauischen Stumpenland. Brunsleben, der erste und einzige fertiggestellte Teilband der Brenner-Reihe, folgt mit seinen fünfundzwanzig Kapiteln nicht nur der klassischen Stückzahl einer Zigarrenkiste, sondern „verschreibt“ dem Leser in jeder Kapitelüberschrift auch gleich die passende Zigarre für die nachfolgenden Zeilen.

„Da eine Zigarre aus Einlage, Umblatt und Deckblatt besteht“, hatte Burger in einem Parergon vermerkt, „reizt es mich, diese Dreifaltigkeit als Poetik zu übernehmen.“

„Die Auswahl der Tabaksorten, ihre wohlabgewogene Mischung und die Vereinigung der Blätter zu duftenden Rauchrollen ist eine Kunst, die es mit derjenigen des Fabulierens durchaus aufnehmen kann, hier wie dort dominiert das Handwerkliche.“

Jeder Zigarrenschicht ordnet Burger eine Erzählschicht zu. Folgerichtig nennt der Erzähler die Romanseiten „Tabakblätter“ und nimmt das „Cigarristische“ – nicht ohne Witz – als Formprinzip ernst:

„Solche Zeitsprünge, Vor- und Rückblenden, Parallel-, Diagonal- und Contradictio-in-adjecto-Montagen, kurz Gedächtnis-Klitterungen, mit Mohn angesetzt, liegen in der Natur meiner Aufzeichnungen, weil eine Kindheit sich aus Sprengseln und Partikeln zusammensetzt wie die Cigarreneinlage aus den verschiedensten Tabaksorten von Sumatra, Havanna und Brasil bis zu reinen Würzhäckseln der Provenienzen Kentucky oder Latakia, und inwieweit dieses Arkanum als Wasserzeichen transparent wird, will sagen die von den Testrauchern zusammengestellte Komposition in der Mischbox ‚heiratet‘, ist entscheidend für die Qualität des Genusses.“

Während die Lektüre der gut 500 kaskadisch-mäandernden, suggestiv-sprachschöpferischen und hochgelehrt-informativen Seiten des Zigarrenromans Zeit und gutes Rauchwerk erfordern, kommen Sportwagenfahrer in Burgers Kurztext Ferrari humanum est auf ihre Kosten – und werden Gefallen finden an Ziffer 422 seines Tractatus logico-suicidalis, eines grandiosen Textes über die Selbsttötung, den die lesefreundlich gestaltete Werkausgabe ebenfalls wieder zugänglich macht:

„Gibt ein Suizidär sein ganzes Vermögen für einen Ferrari aus, mit dem einzigen Zweck, damit zu Tode zu kommen, enthalte sich die hinterbliebene Mehrheit der Mercedes-Fahrer gefälligst des Kommentars.“

Hermann Burger: Werke in acht Bänden. Herausgegeben von Simon Zumsteg. Nagel & Kimche 2014. 3184 Seiten. 149 Euro. Die Bände sind einzeln erhältlich.

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28. Februar 2014