Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Erich Mendelsohns Kaufhaus Schocken in Chemnitz

Mit seinen Entwürfen für die Kaufhauskette Schocken kombinierte Erich Mendelsohn dynamische Form und spektakuläre Lichtgestaltung auf so überzeugende Weise, dass die Gebäude bis heute als Ikonen der Moderne gelten. Nach Nürnberg (1926) und Stuttgart (1928) entwarf Mendelsohn auch die Filiale im sächsischen Chemnitz, die am 15. Mai 1930 eröffnete und als einzige der drei erhalten ist.

Kaufhaus Schocken Chemnitz

Dank einer nicht tragenden Vorhangfassade konnte das kühn geschwungene, neungeschossige Gebäude mit durchlaufenden Fensterbändern beeindrucken, die sich nachts als urbane Lichtbahnen präsentierten. Die Kunsthistorikern Anne Hoormann deutete Mendelsohns kurvige, von innen beleuchtete Fassade als Leuchtreklame, die sich zu einem eigenständigen Architekturelement emanzipiert hat (in: Lichtspiele. Zur Medienreflexion der Avantgarde in der Weimarer Republik. München 2003, S. 250f):

„Seine stromlinienförmigen Fensterbänder erwecken den Eindruck von Bewegung (…) Die Horizontalen sind bei Mendelsohn als Leuchtbänder in der Art von Filmstreifen ausgelegt, seine Fensterbahnen wirken wie Lichtstreifen von fotografischen oder kinematographischen Nachtaufnahmen der Großstadtlichter. Dabei stellt sich ein Umkehreffekt ein: Die Architektur, in der tagsüber wie auf einem Positiv die hellen Fassaden mit den dunklen Reihen der Fenster kontrastieren, zeigt sich nachts wie das Negativ dazu mit dunklen Fassadenflächen und erleuchteten Fensterreihen.“

Ab 2001 stand das Chemnitzer Kaufhaus leer. Seit einigen Wochen ist es – saniert und in neuer Funktion – wieder zugänglich. Während die Fassade mitsamt des Firmennamens und des Firmensignets rekonstruiert wurde, hat man das Gebäudeinnere entkernt und als Staatliches Museum für Archäologie eingerichtet. Im Zentrum des Hauses steht die archäologische Dauerausstellung, die auf der dritten Etage eine das Warenhausäußere bei Nacht zitierende Vitrinengestaltung aufweist. Hier fungiert das Expositorische als Bindeglied zwischen Warenästhetik und musealer Kultur.

Kaufhaus Schocken Chemnitz

Auf den drei Ausstellungsetagen sind jedoch nicht nur archäologische Exponate zu sehen, sondern auch Kabinette über den Architekten Mendelsohn, den Kaufhausgründer und Verleger Salman Schocken sowie das Chemnitzer Gebäude. Sie befinden sich in den Erkerbändern und ermöglichen den Blick aus jener Fensterfront, deren schwerelos erscheinender Schwung sich tief ins kollektive Unterbewusste eingeprägt hat.

Kaufhaus Schocken Chemnitz

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11. Juli 2014