Advent mit Apple (2): Gegenwart / MacBook Pro Late 2016
Apple, die Firma, der seit 30 Jahren vorgehalten wird, ihr Marketing sei besser als ihre Produkte, erlebt gerade ein PR-Debakel, obwohl sie einen tollen neuen Computer auf den Markt gebracht hat. Anmerkungen zum MacBook Pro Late 2016.
Mehr als 1000 Tage ließ sich die gemeinhin für ihre rapiden Produktzyklen gescholtene Firma Zeit, bis sie ihr High-End-Notebook, das MacBook Pro, erneuerte. Man gebe den Mac auf, war während der Wartezeit zu lesen, doch als dann schließlich ein neuer herauskam, überschlugen sich Kritiker und Forumskommentatoren, die das Gerät noch nie in Händen gehalten hatten, mit Ablehnung: Der neue Rechner genüge den Ansprüchen von Profis nicht, er habe die falschen Anschlüsse, und zu teuer sei er auch. Apple überraschte die Kritik offenbar so sehr, dass der Marketingchef sich ungewöhnlich defensiv zu einer Reihe von Erklärungen veranlasst sah – und vorübergehend die Preise für Adapter senkte, um dem „Donglegate“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Was ist dran an den Einwänden?
Dieser Text wird auf dem gerade ausgelieferten 15-Zoll-Modell geschrieben, das sich vordergründig kaum vom Formfaktor seines sieben Jahre alten Vorgängers unterscheidet, auf dem dieser Blog bislang entstand. Bei genauerem Hinsehen hat sich jedoch so gut wie alles geändert: bei unveränderter Bildschirmgröße ist das Gerät kleiner, trotz besserer Leistung leichter und dünner als die Vorgängermodelle.
Das staunenswerte Retina-Display hat unterdessen eine so gute Auflösung erreicht, dass das menschliche Auge weitere Verbesserungen nicht mehr wahrnehmen könnte. Helligkeit, Kontrast und Farbumfang wurden so sehr verbessert, dass der Bildschirminhalt auch bei direkter Sonneneinstrahlung gut zu erkennen ist. Allerdings empfiehlt es sich, wie Marco Arment herausgestellt hat, die Auflösung nicht auf den vorgegebenen Standard, sondern auf den nativen Wert von 1440 x 900 einzustellen, um in den Genuss der optimalen Bildschirmleistung zu kommen.
Die neue Tastatur – eine Überarbeitung des Schmetterlings-Mechanismus vom 12-Zoll-MacBook – lässt die hohen Tasten alten Typs geradezu wackelig erscheinen. Trotz ihrer flachen Form sind sie deutlich (und nach Meinung vieler: zu deutlich) hör- und fühlbar und zeichnen sich – wie John Gruber es nennt – durch „premium clickiness“ aus. Das gegenüber den Vorläufern doppelt so große, an jeder Stelle gleichermaßen sensitive Force-Touch-Trackpad steht beim Tippen nicht im Weg und erweist sich als komfortable Eingabeoption. Auf die bereits erstaunlich ausgereifte neue Touchbar, mit der man beispielsweise Werbung in Filmen durch eine einfache Fingergeste überspringen kann, trifft zu, was die Neue Zürcher Zeitung in ihrer Besprechung schrieb:
„Das Navigieren mit dem Finger ist intuitiver und schneller als via Maus, wo man oftmals kleine Steuerelemente mit dem Cursor anvisieren muss.“
Das gilt ebenso für die Touch ID-Taste, mit der man das Gerät und verschlüsselte Dokumente per Fingerabdruck entsperren sowie bargeldlos bezahlen kann. Gruber:
„It took about three days using Touch ID on this review unit before I instinctively tried to use it to unlock my old MacBook. Typing my login password now feels archaic.“
Zu den zahlreichen kleineren Verbesserungen zählen auch die Lautsprecher, die endlich nicht mehr zu leise ausfallen. Alles schön und gut, wenn der Arbeitsspeicher zu gering und der Prozessor zu langsam ist? Ausgewogene Besprechungen wie die von Jim Dalrymple sehen es anders. Ein Profinutzer ließ beispielsweise 29 Programme gleichzeitig auf dem mobilen Gerät laufen, darunter speicherhungrige Anwendungen wie Photoshop, InDesign und X-Code. Trotzdem benötigte der Rechner nicht das Maximum an RAM. Und ein Filmschnittprofi schrieb nach dem Praxistest:
„No matter what you think the specs say, the fact is the software and hardware are so well integrated it tears strips off superior spec’d Windows counterparts in the real world.“
Die SSD Festplatte erwies sich sogar als so schnell, dass die Testsoftware des Magazins Macwelt beim Messen nicht mehr mitkam.
Das neue MacBook Pro ist – entgegen seiner öffentlichen Aufnahme – ein erwachsenes Gerät für erwachsene Nutzer. Während ein iPad mit externer Tastatur, wie Om Malik schreibt, „primarily a consumption device and perfect for communication“ ist, handelt es sich bei dieser mobilen Komplettlösung um eine vollwertige Arbeitsstation. Ärgerlich bleibt der Verzicht auf den grandiosen MacSafe-Anschluss und die flip-out arms beim Ladegerät, selbst wenn man von der Zukunft der neuen, sehr schnellen und universal einsetzbaren Thunderbolt-Anschlüsse überzeugt ist. Dass Adapter bei einem solchen Premiumprodukt ebensowenig zum Lieferumfang gehören wie das früher stets mitgelieferte Verlängerungskabel, ist kleinlich. Apple hätte die erregten Reaktionen mit ein wenig mehr Großzügigkeit besser steuern können.
Und der Preis? Sieben Jahre hat mein altes MacBook Pro seinen Dienst getan, bis es zu langsam wurde. Sieben Jahre lang versorgte Apple es mit kostenlosen Updates von Betriebssystem und Anwendungen. Macht 17,70 Euro im Monat für die Gesamtanschaffung. Hält das neue ebenso lang, wird es etwa 32 Euro im Monat gekostet haben. Kein Betrag, der die Rage der Kritiker rechtfertigen könnte.
Folge 1 dieser Reihe über das Buch Designed by Apple in California finden Sie hier; Folge 3 über die AirPods hier.
Fotos: © Apple
16. Dezember 2016