Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Die Buchbranche und das Internet. Drei Beobachtungen

Gedruckte Bücher erleben eine Blütezeit, der stationäre Buchhandel besinnt sich auf seine Stärken, doch mit dem Internet tut sich die Buchbranche noch immer schwer. Warum nur?

Die Buchbranche in Deutschland: Widerwilligkeit gegenüber Partnerprogrammen

Oktober 2013. INVENTUR ist seit wenigen Wochen online, und ich schreibe den Börsenverein des Deutschen Buchhandels an, um uns nach einem Partnerprogramm für Blogger zu erkunden. Amazon bietet ein solches an, der Konzern zahlt Websitebetreibern eine Provision, wenn diese beispielsweise eine Buchbesprechung zu Amazon verlinken und die Leser daraufhin dort einkaufen. Bietet die Dachorganisation der unabhängigen, inhabergeführten Buchhandlungen eine analoge Möglichkeit, um Bloggern einen Anreiz zu geben, ihre Leser zum stationären Buchhandel weiterzuleiten? Die Antwort des Börsenvereins:

„Bislang existiert leider noch kein übergreifendes Partnerprogramm in dem Stil, wie Amazon es umsetzt. Gleichwohl sehen wir die Notwendig- und Nützlichkeit eines solchen Programms und prüfen zur Zeit, wie sich ein Partnerprogramm im Rahmen von buchhandel.de umsetzen lässt.“

Knapp drei Jahre später sieht die Sache anders aus. Auf buchhandel.de heißt es jetzt, man biete kein affiliate program an und es sei „auch nichts in dieser Richtung geplant“. Die Begründung ist bemerkenswert: Dem einzelnen Buchhändler sollen möglichst wenig Kosten entstehen, weshalb er lediglich eine „für den Betrieb der Plattform notwendige Provision an die MVB, die buchhandel.de betreibt“, zahlen solle.

Im Klartext: Websitebetreiber dürfen der Provision kassierenden MVB die Kunden umsonst zuspielen, denn man ist ja gemeinsam gegen den „anonymen Online-Großhändler“. Anscheinend imaginiert sich der Börsenverein Blogger und Netzpublizisten als Amateure, die ihre Kosten aus Idealismus privat begleichen. So mag es in vielen Fällen tatsächlich sein. Doch muss sich der organisierte Buchhandel nicht wundern, wenn professionelle Websitebetreiber oder auch nur solche, denen es nicht reicht, auf der Buchhandelsseite kumpelhaft geduzt und mit Coverbildern abgespeist zu werden, es unter diesen Umständen vorziehen, das Kooperationsangebot von Amazon zu nutzen – zum Nachteil der auf buchhandel.de erreichbaren Buchhändler, die vermutlich lieber eine kleine Provision bezahlt hätten als ihre Kunden an Amazon zu verlieren. Warum schaffen es die Independent Bookstores in den Vereinigten Staaten, eine Affiliate-Alternative zu Amazon anzubieten, während der Börsenverein nach jahrelanger Sondierung Interessenten mit dem Verweis auf ihren Idealismus abspeist?

Gestaltungsversagen bei Webauftritten

Zweimal im Jahr sichte ich – wie viele andere Journalisten auch – die Verlagsvorschauen. Was früher einen Berg voller Altpapier mit sich brachte, lässt sich heute im Netz erledigen. Doch die Dokumente mit den Neuerscheinungen zu finden, kann lange dauern. Viele Verlage scheinen alles zu tun, um ihre Vorschauen zu verstecken. Welchem Menüpunkt sind sie zugeordnet: Bücher? Programme? Presse? Buchhandel? Service? Downloads? Oft sind viele Klicks erforderlich, bis der gesuchte Inhalt endlich erscheint. Es gibt Websites, die bei der Suche so viele Sackgassen bereithalten, dass man entnervt aufgibt.

Schafft man es dennoch zum Ziel und klickt schließlich einen Link zur Vorschau an, öffnet sich in vielen Fällen kein pdf, sondern die unsägliche issuu-Plattform mit ihrer analoge Bücher nachahmenden Animation. Zäh bedienbar und im schlimmsten Fall von einem blechernen Umblättergeräusch begleitet, handelt es sich um einen Skeomorphismus, der nicht nur selbst antiquiert ist, sondern zudem das gedruckte Buch altmodisch aussehen lässt.

BuchbrancheEs gibt noch immer Verlagswebsites, die im Jahr 2016 so aussehen.

Designversagen bei Navigation und Funktion ist keine Besonderheit der Buchbranche. Nicht nur hier finden sich Seiten, die noch immer von Flash-Animationen abhängen, für mobile Endgeräte ungeeignet sind oder ganz einfach gestalterisch misslungen. Bedauerlich ist nur, dass die Buchbranche eigentlich dafür prädestiniert wäre, es besser zu machen. Experten sind sich einig, dass gutes Webdesign zu einem überwiegenden Teil eine Frage der Typografie ist – ganz so wie bei Büchern. Und was wäre eine klar strukturierte Sitemap im Kern anderes als ein durchdachtes Inhaltsverzeichnis? Warum also die eigenen Stärken nicht auch im Netz ausspielen?

Etwas Bewegung im Blogbereich

Immer mehr große Verlage investieren in einen zeitgemäßen Webauftritt. Dumont, Fischer, Hanser, Piper, Rowohlt, Suhrkamp – sie alle verfügen mittlerweile über ordentliche Agenturlösungen, die einem nicht gefallen müssen, aber sicherlich funktionieren. Kleine Häuser lassen sich etwas einfallen, etwa Diaphanes, wo man einzelne Kapitel aus wissenschaftlichen Sammelbänden separat elektronischer Form erwerben kann, anstatt die notorisch überteuerten und selten als Ganzes relevanten Bücher kaufen zu müssen.

Einige Publikumsverlage bieten eigene Blogs an, unter ihnen Rowohlt, Suhrkamp und Fischer. Suhrkamps Logbuch ist es sogar gelungen, kleinere Debatten anzustoßen; Fischers Online-Magazin Hundertvierzehn verdient als gestalterisch, technologisch und inhaltlich besonders überzeugender Blog eine Empfehlung.

Bislang zeigte die Digitalisierung vor allem als Drohkulisse positive Effekte auf dem Buchmarkt: der stationäre Buchhandel spielt seine Stärken heute selbstbewusster aus, das gestalterisch anspruchsvolle gedruckte Buch erlebt derzeit einen ermutigenden Aufschwung. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Buchbranche auf der Höhe der digitalen Möglichkeiten auftritt. Sie kann nur gewinnen.

INVENTUR nimmt nicht an Affiliate Programmen von Amazon oder anderen Unternehmen der Buchbranche teil.

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15. Juli 2016