Der Blog von Dirk Hohnsträter
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iA Writer Pro – Was taugt die umstrittene App?

INVENTUR-Leser wissen, dass dieser Blog auf iA Writer, dem Schreibprogramm der Information Architects geschrieben wird. Jetzt gibt es mit iA Writer Pro eine ehrgeizige und heftig diskutierte Weiterentwicklung. Der Streit um die App ist ein Streit über kreatives Arbeiten.

HINWEIS: DIESER ARTIKEL BESPRICHT EINE ÄLTERE VERSION VON IA WRITER, DIE NICHT MEHR ANGEBOTEN WIRD. IN NEUEREN BEITRÄGEN BESPRECHE ICH WRITER 4 & 5 UND WRITER 3.

Vergessen wir den allzu sehr an Apple angelehnten Werbespot, in welchem iA-Gründer Oliver Reichenstein im Stil von Jony Ive auftritt, nur dass Reichensteins Schweizer Akzent an die Stelle von Ives markantem British English tritt. Vergessen wir auch den Entwickler-Shitstorm um die unterdessen zurückgezogene Patentierung der Syntaxkontrollfunktion. Und übergehen wir den selbstbewussten Preis von 17,99 Euro pro MacOS- bzw. iOS-App. Schauen wir lieber auf das Produkt, zunächst aus der Sicht der Entwickler. iA Writer Pro widmet jeder Stufe des Arbeitsflusses (Notieren, Schreiben, Editieren) eine eigene Schriftart und eine eigene Umgebungsfarbe. Im Lesemodus ändert sich lediglich die Leitfarbe, und eine Überarbeitung ist nicht möglich. Zwischen den Stufen lässt sich mühelos hin und her schalten.

iA Writer Pro Workflow

Die sogenannte Syntaxkontrolle ermöglicht es, Wortarten im Text hervorzuheben und dadurch fokussiert an der Wortwahl zu arbeiten – eine Innovation, die aller Wahrscheinlichkeit nach vielfach kopiert werden wird.

Writer Pro Edit

Bewährte Eigenschaften des Vorgängerprogrammes wie die unaufdringliche Rechtschreibkorrektur blieben erhalten. Da auch iA Writer Pro ein reines Textformat benutzt, können Textbausteine problemlos einkopiert oder exportiert werden – gegenüber anderen Schreibprogrammen ein kaum zu unterschätzendes Plus.

Wie schon bei iA Writer ist es ungemein wohltuend, als Nutzer einer Anwendung zu spüren, dass sie von Leuten entwickelt wurde, die sich tief in die Prozesse kreativen Arbeitens hineinbegeben und diese zum Strukturprinzip ihrer Software machen. Und über die Fähigkeit verfügen, komplexe Vorgänge in schöne Form zu verwandeln. Das Apples eigenes Design und das Vorgängerprogramm an Eleganz und Funktionalität übertreffende Keyboard der iOS-Version ist dafür ein besonders beeindruckendes Beispiel.

Gleichwohl polarisiert das Programm, weil es einen starken Vorschlag unterbreitet, wie Autoren denken und schreiben. So ist die Auseinandersetzung um iA Writer Pro zugleich eine Debatte über kreatives Arbeiten. Bildet es tatsächlich den Arbeitsprozess professioneller Autoren ab?

Schauen wir uns die Workflow-Funktion genauer an. Sie macht nichts anderes, als Typografie und Cursorfarbe ein und desselben Dokuments zu ändern. Die Inhalte ändern sich nicht. Zunächst erscheint dies widersinnig. Warum sollte man Notizen im Edit- oder Read-Modus anschauen? Wie können mehrere Notizen einem Projekt zugeordnet werden? Und umgekehrt, einzelne, in einem Projekt verarbeitete Notizen für künftige Textentwürfe gesichert werden? Die Antwort der Information Architects lautet:

„Please consider Workflow states as environments for focusing on specific tasks for a single document, not modal views showing different content.“

iA Writer Pro geht von einem dokumentbasierten Arbeitsfluss aus. Die Idee dahinter lautet: Font und Farbe setzen den Rahmen für eine je unterschiedliche Arbeitshaltung. Dies gelingt dank der vorzüglichen Schriftarten tatsächlich. In der Mobilversion mit ihrem schwarzen Hintergrund kommen zudem die markanten, die Dokumente gruppierenden Farben besonders deutlich zur Geltung. Wer Notizen sammelt, nutzt den Notizmodus. Einzelne davon werden bei Bedarf im Schreibmodus weiterentwickelt. Andere bleiben bloße Notiz. Während Writer dazu verführte, Skizzen in Fließtexte zu erweitern und am Ende eine Fülle von Fragmenten zu haben, legt iA Writer Pro ein strukturierteres Arbeiten nahe, ohne deshalb die Vorteile aufgeben zu müssen, die das Arbeiten in einem einzigen Programm bietet. So ist es gemeint – als ein zumeist räumliches und weit seltener als ein zeitliches Umschalten zwischen Arbeitsumgebungen.

Gleichwohl haben die Information Architects nach enttäuschten Kritiken eingeräumt, dass der per-document-workflow von iA Writer Pro durch einen per-project-workflow ergänzt werden soll, der mehrere Notizen einem Schreibprojekt zuordnen kann. Das ist wünschenswert, denn momentan ist dafür lediglich die Such- und Swipefunktion der Mobilversion bzw. die Such- oder die Tagging-Funktion der Mac OS-Variante vorgesehen. Auch sollen Dokumente in der Mobilversion künftig sortiert und umbenannt werden können; ebenfalls eine sinnvolle Erweiterung. Erwogen wird zudem, die Umgebungen noch eindeutiger zu machen, etwa indem die Rechtschreibprüfung erst im Edit-Modus aktiviert wird. Schließlich soll ein Update des Lesemodus Markdown interpretieren und formatierten Text zeigen, so wie es bei der Previewfunktion bereits jetzt der Fall ist.

Wer es gewohnt ist, mit iA Writer zu schreiben, kann an der MacOS-Version von iA Writer Pro jedoch zwei Punkte monieren. Zum einen stört die rechte Seitenleiste die Konzentration. Sie durch einen Shortcut oder die obere Menüleiste ein- und auszublenden ist – anders als bei der sich dezent bei Cursorkontakt einblendenden und wieder von selbst verschwindenden Funktionsleiste im Fuß von iA Writer – vergleichsweise hochschwellig und lenkt unnötig vom Schreiben ab. Es wäre wünschenswert, man könnte die Seitenleiste in iA Writer Pro auf dieselbe unaufdringlich-elegante Art sichtbar machen wie die Fußleiste in iA Writer.

Zum anderen vermisst man in der Mac-Version die auf den Punkt getroffene graue Hintergrundfarbe von iA Writer. Sie wurde durch einen leicht gelbstichigen, zumindest anfangs irritierend changierenden Hintergrund abgelöst, auf dem der Nitti Font bei fetten Buchstaben (jedenfalls auf meinem MacBook Pro mit blendfreiem Bildschirm) sichtbar schlechter zur Geltung kommt als gewohnt. Die normale Schrift erscheint allerdings klarer als zuvor, weshalb der Einwand sich womöglich nach längerem Gebrauch erledigen wird.

Fazit: Wer die Texte von Oliver Reichenstein und die Arbeiten der Information Architects kennt, wird iA Writer Pro einen Vertrauensvorschuss geben. Das Programm nimmt – zumal nach der irritierenden, einen temporalen Workflow suggerierenden Werbung – nicht so unmittelbar für sich ein wie iA Writer, bietet jedoch einige klare Vorzüge (darunter die Syntaxkontrolle) und geht spürbar in die richtige Richtung, indem es kreatives Arbeiten als primär räumlich und erst in zweiter Linie, nämlich innerhalb einzelner Dokumente und in Form gelegentlicher Übergänge, als zeitlich auffasst. Die Art, wie im Support Forum Kritik und Anregungen aufgegriffen werden, lässt zudem Bestes hoffen für künftige Updates.

Abbildungen: © Information Architects Inc.

4. Januar 2014