Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Warum war Julian Rosefeldts Manifesto so erfolgreich?

Bereits Anfang Juni hatte die Ausstellung Manifesto von Julian Rosefeldt im Hamburger Bahnhof Berlin über 90 000 Besucher angezogen, nach der Verlängerung wird wohl eine sechsstellige Zahl erreicht. Wie erklärt sich dieser Erfolg?

Langsam, leinwandgroß und bedrohlich nah arbeiten sich die Funken einer Zündschnur zum Sprengstoff vor. Dazu spricht eine Frauenstimme Manifeste der letzten hundert Jahre. Das ist der erste Film. 12 weitere folgen, versetzt gehängt im abgedunkelten Ausstellungsraum, von synchronen Momenten rhythmisiert. In jedem einzelnen trägt Cate Blanchett Künstlermanifeste vor, Texte von Marx, Malevich und Marinetti, von Tzara und Taut, von Vertov, Debord und Jarmusch, transponiert in Lebenssituationen der Gegenwart. Man sieht die Schauspielerin als Clochard und als Trader, bei einer privaten Vernissage, im Labor und auf der Müllhalde. Sie spricht Manifeste als Tischgebet und Nachrichtentext, als Grabrede und – besonders schön – Arbeitsauftrag in der Schule.

Rosefeldt Manifesto
Abbildung: Julian Rosefeldt Manifesto 2014/2015, © VG Bild-Kunst Bonn 2016

Je weiter die Betrachter voranschreiten, desto komplexer entfaltet sich die Installation, stets das Gleichgewicht zwischen Verstehbarkeit und Irritation haltend. Die Bewegung der Besucher verbindet sich mit den Blickachsen im Ausstellungsraum, und wenn für Momente alle Tonspuren synchron laufen, möchte man sich um die eigene Achse drehen in einer rauschhaft-schwebenden Geste.

Natürlich ist es der Weltstar, die viele Neugierige zum Besuch veranlasst. Sie, die alle Rollen, Schicksale, Verrichtungen, Verlangen und Verluste so beeindruckend verkörpert. Aber das allein erklärt die Resonanz dieser Arbeit nicht, so wenig wie Julian Rosefeldts formale Virtuosität im Umgang mit Gegenwartsmedien, die auch das verwöhnte Kunstgängertum zu befriedigen vermag. Vielmehr hat die das Rauschen des Betriebs hinter sich lassende Wirkung von Manifesto ihren tieferen Grund darin, dass sie einem desillusionierten Publikum die Reste substantieller Aufbrüche nicht mit überlegener Spätzeitgeste als haltlos vorführt, sondern als unhintergehbares Movens des Menschlichen aufzeigt.

In einer Zeit, in der das Design politisch und die Kunst dekorativ, der Konsum werthaltig und das Künstlerische bloß kommerziell geworden ist, reflektiert Rosefeldt im Medium des Ästhetischen den Stand der Dinge. Wie der ganz anders arbeitende Trevor Paglen macht er eine Kunst, die welthaltig, reflektiert und ernst ist, keine Fortsetzung der unendlich langweiligen Goldfolienfabrikation sich genialisch gerierender Großatelierbetreiber, deren Produkte längst banaler ausfallen als gutes Design.

Manifesto ist eine Bestandsaufnahme, eine Besinnung, wie sie gerade in diesem wahnsinnigen Sommer aus Amok, Terror, Putsch, Rechtsruck, Trump und Brexit gebraucht wird. Denn die Weltordnung am Ende der alten Unbeschwertheit ist keine, die ohne die wilde Schönheit, den rebellischen Elan und das konstruktive Distanzierungsvermögen der Manifeste auskäme.

Verlängert bis 18. September 2016

2. September 2016