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Kulturelle Aspekte der Wirtschaft

Dirk Hohnsträter

INVENTUR ist ein digitales Journal über kulturelle Aspekte der Wirtschaft, betrieben von dem Kulturwissenschaftler und Autor Dirk Hohnsträter.

Dirk Hohnsträter leitet die Forschungsstelle Konsumkultur der Universität Hildesheim. Sein Buch Qualität! erschien im Wiener Brandstätter Verlag.

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Weber+Weber Sartoria, die Wertschätzungsverführer aus Wien

Weber+Weber Sartoria ist eine österreichische Marke, die damit wirbt, keine Mode, sondern Kleidung anzubieten. Wie es Christian und Manuel Weber gelingt, den Spagat zwischen dem Stilverlangen der Modewelt und dem Ziel einer nachhaltigeren Bekleidungskultur produktiv zu machen, lohnt eine genaue Betrachtung.

2015 gründete der Designer Christian Weber zusammen mit seinem Mann, dem gelernten Landschaftsgärtner Manuel, die Marke Weber+Weber Sartoria. Unmittelbarer Anstoß war ein von Vogue Italia und The Woolmark Company ausgeschriebener Preis, den die beiden mit ihrer Idee gewannen, den Traditionsstoff Loden als Grundmaterial einer Slow Fashion-Kollektion neu zu interpretieren. Sieben Jahre später verzeichnet das Unternehmen über 160 Einzelhandelskunden und betreibt zudem die nach den Großeltern von Manuel Weber benannte Zweitmarke josef & anna.

Wo andere Marken Nachhaltigkeit bloß behaupten oder lediglich in Teilaspekten umsetzen, erzählen Weber & Weber ihre Geschichte gleichsam auf jeder denkbaren Ebene: vom Material über die Verarbeitung bis zur Form. Einem herausfordernden Paradox der neuen Qualitätswirtschaft können freilich auch sie nicht entgehen.

Die Stoffe

Woll-Denim, Millerighe Sommercord, Fresco, recyceltes Cashmere: die von Weber+Weber verwendeten Stoffe stammen aus Österreich oder Italien und sind gleichermaßen robust wie raffiniert. Wenn Leder zum Einsatz kommt, nutzt das Duo Abfallprodukte der Nutztierhaltung und achtet dabei nach eigenem Bekunden sowohl auf das Tierwohl als auch auf umweltschonende Gerbung.

Weber+Weber Sartoria

Christian und Manuel Weber wählen ihre Materialien nicht nur sorgfältig aus, sondern greifen vornehmlich auf Eigenentwicklungen zurück, die Traditionsstoffen das Rustikale und Steife nehmen und sie mit einem urbanen Lebensstil vereinbar machen. Ein Beispiel dafür ist im Stück gefärbtes Jägerleinen mit einem Anteil von Lenzing-Tencel, das weniger glänzt und knittert als herkömmlicher Flachs. Oder ein Drill, bei dem die robuste Baumwollseite anders als üblich nach außen und die kühlende Seidenseite nach innen gewebt wird, damit der Stoff ebenso sommertauglich wie unempfindlich daherkommt. Zum Markenzeichen wurde die Eigenentwicklung Travel Weber 01, eine Walkware, bei der drei Meter gewebter Schurwollstoff so lange gekocht wird, bis er auf einen Meter zusammenschrumpft. Durch das Verfilzen verdichtet die Ware gleichsam ihre guten Eigenschaften und weist Wasser, Wind, Schmutz und Gerüche besser ab.

Schnitte & Details

Der Weber-und-Weber-Look, in dessen Zentrum Westen, jankerartige Jacken mit umklappbarem Stehkragen sowie Hosen mit Umschlag am Beinende stehen, zeichnet sich durch eine strukturierte Lässigkeit aus. Ebenso körpernah wie bequem geschnitten und vielfach ungefüttert, bewirken die Stücke ein Tragegefühl, das den menschlichen Körper unmittelbar mit den verwendeten Naturmaterialien verbindet. Auf der anderen Seite sorgen Schnittelemente wie Taillierung und dreiteilig genähte Sakkoärmel dafür, dass die Passform nicht formlos-bieder anmutet.

Weber+Weber Wien

Eine Anzahl reizvoller Details unterstreicht die schneiderische Sorgfalt, mit der Weber+Weber arbeiten. Dazu zählen farblich kontrastierende Innentaschen, offenkantige Lederverarbeitung und zwei von Hand ausgeführte Kreuzstiche, die ein sichtbares Markenlogo ersetzen.

Die Verarbeitung

Neben den optischen Details fällt die sorgfältige Machart der Stücke auf. Im Gegensatz zu anderen Marken des Premiumsegments werden Kanten auch dort sauber verpaspelt, wo man nicht sofort hinschaut; Horn- und Perlmutt-Knöpfe lässt das Duo mit Steg fixieren. Dass die Knöpfe der Sakkoärmel bloß aufgenäht, aber nicht „durchgeknöpft“ sind, fügt sich auf den ersten Blick weniger gut in das Bild einer klassischen Schneiderei, den das im Markennamen enthaltene italienische Wort sartoria nahelegt, liegt aber daran, dass nur so Anpassungen der Ärmellänge möglich bleiben.

Weber+Weber Sartoria Wien

Produziert wird ausschließlich in Italien, von Manufakturen wie Acqua Design Italia, Tintoria Emiliana und Lombardelli Confezioni sowie von Lederspezialisten in der Toskana. „Mich überzeugt ein Vor-Ort-Termin immer noch mehr als so manches Zertifikat“, sagt Christian Weber, und verweist damit zum einen auf die Frage nach Nutzen und Nachteil von Zertifizierungen, zum anderen auf das Thema Vertrauen, das beispielsweise auch beim ökologischem Weinbau eine immer größere Rolle spielt.

Seit 2021 unterhalten Weber & Weber eine eigene Sartoria in Venedig, in der nach eigenen Angaben 15 Handwerkerinnen in regulären Arbeitsverhältnissen ausschließlich für die eigene Marke arbeiten.

Weber+Weber Sartoria: Erklärungen und Erzählungen

Dass sich die detaillierten Informationen der vorangegangenen Abschnitte größtenteils ohne weitere Recherche, durch bloße Lektüre der Unternehmenswebsite zusammenstellen lassen, ist die eigentlich interessante Nachricht. Denn neben der stilistischen Souveränität und schneiderischen Qualität der Produkte, ist es das mitgelieferte Wissen und dessen verführerische Erzählung, die Weber+Weber Sartoria auf dem Modemarkt heraushebt. Jedes einzelne Teil wird auf der Website detailliert erklärt, an das Produkt geheftete Begleitzettel geben Auskunft über Besonderheiten und enthalten Pflegehinweise, die oftmals schlicht darin bestehen, getragene Kleidungsstücke auszubürsten, zu lüften und nach dem Duschen ins Badezimmer zu hängen.

Nachhaltige Mode

Alles läuft bei Weber+Weber Sartoria darauf hinaus, die Dinge zu verstehen, ihren Wert zu schätzen, sie gut zu behandeln und lange zu gebrauchen. Es geht um eine Idee von Bekleidung, die auf mehreren Ebenen eine Verbindung zur Welt herstellt. Natürliche Farben, vorgewaschene Stoffe und an Traditionen anknüpfende Formen (häufig mit Attributen wie Austrian, Heritage oder Vintage bezeichnet) geben den Stücken die Anmutung von Erbstücken. Zugleich passen sie zu vielen Anlässen unserer Zeit, sind unkompliziert kombinierbar und dank ihrer temperaturregulierenden und weitgehend knitterfreien Stoffe besonders reisetauglich. Die verfilzten Materialien weisen Schmutz und Gerüche ab, laufen nicht ein und lassen sich in den meisten Fällen zuhause waschen, sofern das Auslüften nicht ohnehin die bessere Alternative ist.

Gewiss ist Christian Weber ein begnadeter Erzähler, der sich darauf versteht, gleichsam aus jedem Faden eine Idee herauszukitzeln und etwas so profanes wie einen 2%-igen Elasthananteil als „kleines Geheimnis“ zu verkaufen. Auch unterscheiden sich Ausdrücke wie „Easycare-Teil“ für eine simple Jacke kaum von herkömmlichem Marketing. Und doch stecken Gedanken hinter den Geschichten, überlegte Designentscheidungen, die Werte nicht nur symbolisieren, sondern in der konkreten Ausführung umsetzen.

Die Ökonomie der beständigen Kleidung bei Weber+Weber Sartoria

In ihrer ersten Saison verkauften Weber+Weber Sartoria gerade einmal 60 Teile. Sie bezogen in einem von den Großeltern überschriebenen Haus in Vorarlberg Quartier und kofinanzierten ihre Kompromisslosigkeit in Sachen Qualität durch Auftragsarbeiten. Ende 2017 lagen sie bereits bei 3000 bis 4000 verkaufen Stücken; um den break-even zu erreichen, muss die Marke nach eigenen Angaben etwa 5000 Teile pro Jahr verkaufen.

Trotz der Pandemieumstände rückten die beiden nicht von ihrem Vorhaben ab, den Firmensitz nach Wien zu verlegen. Im Juni 2020 zogen sie in den Seitentrakt des Palais Erzherzog Carl Ludwig im 4. Bezirk. Dort befinden sich seither Atelier, Büros, Showroom und – eine kleine Sartoria. Im Gegensatz zum üblichen, rein auf Spektakel abzielenden Flagship-Store-Konzept, kann man bei Weber & Weber persönliche Beratungstermine mit den Gründern vereinbaren, Reparaturen, Anpassungen und Sonderanfertigungen vornehmen lassen.

Loden

Obwohl die Umsätze Mitte 2020 bereits über dem Vorjahresniveau lagen, zwang die Pandemie die Marke zur Inanspruchnahme einer Überbrückungsfinanzierung. Doch wie es aussieht, hat sich das beharrliche Festhalten an der qualitätsorientierten Ausrichtung gelohnt. Das lag zum einen daran, dass die Home-Office-Erfahrung dem mühelos zwischen Angezogensein und Zwanglosigkeit changierenden „unsuited“-Stil der Marke entgegenkam. Christian Weber bemerkt:

„Vor der Pandemie hatten wir oft das Problem, dass die Händler unseren Look zwar mochten, aber nicht wussten, ob sie uns in die klassischen HAKA-Abteilungen oder in die Sportswear einordnen sollen – das ist jetzt Geschichte.“

Zum anderen trugen die Abkehr vom strikten Saisonrhythmus sowie die Kernwerte der Marke zur Resilienz des Unternehmens bei. Kleidung, die von weither zu kommen scheint, auf langlebigen Gebrauch angelegt ist, gleichermaßen schützt und wohltut, passt gut in das Lebensgefühl unserer Zeit.

Einem Paradox können die beiden Wertschätzungsverführer aus Wien freilich bei allem Lob des Lieblingsstücks, der Patina und des Flickens nicht entkommen. Wenn jeder (neue) Kauf eine Haltung, deren glaubwürdige Umsetzung und verführerische Erklärung honoriert, macht das Lust aufs nächste Teil. Am Ende sind die Kunden geneigt, von dem, was als Besonderheit und für die Dauer gedacht ist, mehr zu kaufen als sie tatsächlich brauchen, weil das Investment in jedes neues Stück die eigenen Werte bekräftigt. Weniger, aber besser – oder doch lieber noch etwas mehr vom Besseren? Keine leicht zu beantwortende Frage, wenn Nachhaltigkeit so verführerisch daherkommt wie bei Weber & Weber.

WORAN ERKENNT MAN GUT GEMACHTE KLEIDUNG?
Mehr dazu in meinem Buch Qualität!

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Abbildungen: Round Icons*