Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Kulturelle Aspekte der Wirtschaft

Dirk Hohnsträter

INVENTUR ist ein digitales Journal über kulturelle Aspekte der Wirtschaft, betrieben von dem Kulturwissenschaftler und Autor Dirk Hohnsträter.

Dirk Hohnsträter leitet die Forschungsstelle Konsumkultur der Universität Hildesheim. Sein Buch Qualität! erschien im Wiener Brandstätter Verlag.

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INVENTUR macht Inventur (3): Wein

Riesling-Entdeckungen, ein Malbec-Favorit und der Wein von einem Lieblingswinzer, den ich weggeschüttet habe

Kann es denn wahr sein, dass auf meinen Riesling-Artikel kein weiterer folgte? Dabei gibt es so viele Entdeckungen! Zum Beispiel das Weingut Siener aus Birkweiler in der Südpfalz. Es bewirtschaftet wie der berühmte Kollege Ökonomierat Rebholz die Lage Kastanienbusch, und produziert bereits auf Gutsweinniveau Rieslinge, die Pfälzer Saftigkeit mit nobler Mineralität und feiner Frucht verbinden.

Wein

Eine ganz andere Stilistik verfolgt Martin Müllen in Kröv an der Mosel. Müllen, dessen 2012er Trar­ba­cher Hüh­ner­berg Ries­ling Spät­lese tro­cken in Robert Parkers Wine Advocate sensationelle 96 von 100 Punkten erhielt, legt Wert auf eine besonders schonende Verarbeitung des Lesegutes. Deshalb arbeitet er mit einer alten Forke und Korbkeltern aus der Vorkriegszeit, verzichtet aufs Zentrifugieren und lässt spontan im Holzfass vergären. Das klingt zunächst ideologisch, doch Müllens Weine frappieren, weil sie jeden Naturweinzweifel und jede minimalistische Moselskepsis mit dem ersten Schluck zerstreuen. Alljährlich präsentiert der Kröver Winzer gereifte Weine in einer gesonderten Verkostung und überrascht dabei mit der Frische und Ausgewogenheit seiner belebenden Gewächse. Man darf sich von den eigenwilligen Etiketten nicht irritieren lassen und muss sich in die etwas verwirrende Klassifikation mit Ziffern und ähnlich klingenden Namen erst einmal eindenken, doch lässt man sich auf diese Weine ein, wird man mit Rieslingen belohnt, die keineswegs altmodisch schmecken: als lerne man eine unscheinbar auftretende und sich im Gespräch als hochinteressant herausstellende Persönlichkeit kennen, die man über Jahre begleiten möchte, um ihrer Entwicklung beizuwohnen. Es ist müßig, Kräuter, Tropenfrucht oder Birne (alles da) herauszuschmecken, denn bei diesen Weinen geht es nicht um dieses oder jenes Aroma, sondern um eine leise Art des Weltzugangs. Sie sind lecker, ohne sich einfach so wegzutrinken. Sie sind alles andere als anstrengend, doch dabei präsent und dauerhaft anregend. Das Erlebnis beginnt bereits mit dem Riesling Revival, der robuste Steinigkeit, feine Gelbfrucht und viel Saft zum Einstiegspreis bietet. Und endet nicht beim Trarbacher Hühnerberg, dessen extrem steile Terrassenlage auf der historischen Moselweinbaukarte von 1897 in der höchste Kategorie eingestuft war.

Ein Nachtrag zur Malbec-Reihe: Château du Cèdre. Jede Qualitätsstufe erfreut, angefangen mit dem Cèdre Héritage, der seit vielen Jahren einer der besten Malbec-Weine für weniger als 10 Euro ist. Der reinsortige Le Cèdre fällt bemerkenswert elegant aus, und die Grande Cuvée iist einfach nur hinreißend.

Château Cedre

Zum Schluß eine Warnung, obwohl ich den Winzer und seine Weine sehr schätze. Bernhard Otts Amphorenwein Qvevre ist ein in georgischen Tonbehältnissen ausgebauter Grüner Veltliner. Ott befüllt die Behälter mit von Hand gelesenen, gerebelten Trauben. Dann tut er ein gutes halbes Jahr lang nichts mehr: Die Gärung erfolgt spontan, ebenso der Säureabbau, nicht einmal die Temperatur wird geregelt. Ungeschwefelt und ungefiltert kommt der Wein auf eine schicke schwarze, mit Schraubverschluss versiegelte Flasche und wird für mehr als 40 Euro verkauft. Nach dem Öffnen schlägt dem Wohlwollenden ein kräftiger, gelblicher Stinker entgegen, der sich nur langsam in hochreif-kompottartige Töne verliert. Am Gaumen dominiert Bitterkeit. Lässt man ihn ein paar Tage stehen, stellt sich eine für viele Naturweine typische, matte Weichheit ein. Gewiß kann man kann alles Mögliche (etwa getrocknete Aprikose) herausschmecken, aber es strengt an. Dieser Wein macht ganz einfach keinen Trinkspaß. Am Ende so wenig, dass ich ihn nach tagelangen Versuchsreihen wegschütte.

Weine, das ist wahr, wurden schon vor Jahrhunderten auf diese ‚ursprüngliche‘ Weise ausgebaut. Doch muss man es deswegen heute auch so machen? Gewiss, die Natur kann viel spannender sein als ‚künstliche‘ Perfektion. Aber ist der Weinbau etwa keine Kulturtechnik? Und ja, Offenheit für neue geschmackliche Erfahrungen sollte jeder Weintrinker mitbringen. Aber das bedeutet nicht, dass einem am Ende auch alles schmecken muss. Zum Wohl!

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