Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Die Apple Watch. Protokoll eines skeptischen Nutzers

Ich wollte nie eine Apple Watch haben. Dann bekam ich sie geschenkt. Und ließ mich darauf ein. Wie es mir bei diesem Experiment erging, verrät einiges über die Konsumkultur. Am Ende stand die Frage: Worin liegt der Kern der Apple Watch?

Vorbehalte gegenüber der Apple Watch

Auch unter Apple Enthusiasten stieß die Apple Watch, anders als das Ur-iPhone, nach ihrer Erstpräsentation auf Zurückhaltung. Alex Hern vom Guardian brachte die Skepsis auf den Punkt:

„Smartwatches are a solution in search of a problem. A technology created, not to serve consumer demand, but to serve the need of device manufacturers to fill the revenue hole created by declining smartphone growth. You don’t need one.“

Interessanterweise räumte selbst Apples Chefdesigner Jony Ive ein, dass die Apple Watch das erste Produkt der Firma war, bei dem alle an der Entwicklung Beteiligten bereits über Objekte aus dieser Produktkategorie (nämlich Armbanduhren) verfügten, die sie für vollendet hielten. Ähnlich argumentierte der Softwarentwickler Marco Arment, als er den Wert mechanischer Uhren für diejenigen herausstellte, die ständig mit kurzlebigen digitalen Artefakten Umgang haben.

Es war unklar, welchen Nutzen das neue Gadget mit sich bringt, da es längst perfekte Uhren gab und die Fitnessfunktionen zu wünschen übrig ließen. Sportler, die Fitnesstracker verwenden, monierten die mangelnde Akkuratheit des Geräts. Dass Apple keine Verkaufszahlen bekannt gab, nährte das Misstrauen gegen das erste Post-Jobs-Produkt weiter. Ein Flop?

Die ubiquitäre These, dass Apple durch Marketing allein „künstliche Bedürfnisse“ erzeuge, die unabhängig vom Gebrauchswert einer Ware kultartiges Kaufen herbeiführen, war jedenfalls einmal mehr widerlegt.

Der Reiz der Apple Watch

Doch die Apple Watch blieb, und der kalifornische Konzern arbeitete hart an ihrer Verbesserung: technisch und am Design ohnehin, vor allem aber an der Positionierung. Es war nun klar, dass das Alleinstellungsmerkmal der Apple Watch nicht in verkleinerten Funktionen liegen konnte, die Smartphone, Tablet und mobiler Rechner besser erfüllen. Die Uhr, deren geringste Leistung es ist, Zeit und Datum anzuzeigen, heißt zwar weiterhin Watch, wird aber vor allem als ein Gerät vermarktet, das Fitness und Wellness, das der Gesundheit diesen soll. Der Slogan könnte nicht besser gewählt sein:

„Für dein besseres Ich.“

Die ersten Tage

Im Frühjahr 2018 bekam ich eine Apple Watch Series 1 geschenkt, das 42mm große Modell aus Aluminium. Das Gerät, trotz der Typenbezeichnung eines der zweiten Generation, kommt ohne eine Reihe von Funktionen der neuesten Modelle aus: es verfügt weder über GPS noch Mobilfunkempfang, ist nicht wasserdicht sowie insgesamt langsamer und mit einem dunkleren Display ausgestattet als die aktuellen Ausführungen. Aber nun konnte ich das Ding ausprobieren, mitreden, es personalisieren und mit meinen übrigen Apple Geräten verbinden. Ich konnte testen, ob es mir behagt, ein elektronisches Gerät dauerhaft am eigenen Körper zu tragen, konnte prüfen, ob sich so etwas wie Teletaktilität einstellt, eine neue Art der Kommunikation unter Abwesenden. Während ich, nun im Besitz des von vielen Begehrten, mir gleichsam rückwirkend die Kampagne dafür anschaute, stellte sich der in der in der Konsumforschung oftmals unterschätzte Effekt der reassurance ein: Werbung hat nicht nur eine initial verführende Funktion, sondern dient auch der verstärkenden Bindung derer, die den Kauf bereits getätigt haben.

Apple Watch

Die Einrichtung erwies sich als langwierig: erst klappte das Koppeln nicht, dann zog sich das Softwareupdate in die Länge, schließlich konfigurierte ich eine ganze Weile das Zifferblatt, bis ich bei der einfachsten Variante hängenblieb. Ich schaute mir alternative Armbänder an: das dunkelrote Product Red, das bordeauxfarbene aus Swift-Kalbsleder von Hermès, das teurer und langlebiger ist als die ganze Watch. Erstes Fazit: Die Apple Watch ist eine Uhr, die Zeit verlangt, die meine Zeit haben will.

Damit ich das maximale aus dem neuen Gerät herausholen konnte, besuchte ich einen halbstündigen, kostenlosen Quick Start Kurs im Berliner Apple Store. Allein unter entspannten Millennials, stellte ich ein erstes Aktivitätsziel auf der Watch ein. Am Abend hatte ich es bereits erreicht. Motivierend.

Im täglichen Gebrauch

Apple Watch hält die Nutzer zum täglichen Schließen von drei sogenannten Aktivitätsringen an, die das Verbrennen von Aktivkalorien durch jede Art von Bewegung, regelmäßiges Stehen und ein wenigstens halbstündiges, frei gewähltes Training umfassen. Es handelt sich um gesundheitswissenschaftlich anerkannte Ziele, deren Erreichen, Habitualisieren und Steigern durch das Gerät begünstigt wird. Zu diesem Zweck werden charmante Alerts (Nudges) und positive Verstärkungen in Form skeomorph gestalteter Medaillen und alberner Animationen eingesetzt. Das grafische Design der Anwendung mit seinen ’sportlichen‘ Neonfarben bleibt enttäuschend weit unter dem sonstigen Apple-Niveau, wenngleich das aktuelle WatchOS 5 Verbesserungen vorgenommen hat. Andererseits bewirkt die App durchaus die gewünschten Effekte: rasch übertraf ich das sogenannte „intelligente Bewegungsziel“ und erhöhte die angestrebten Werte. Freilich genügt ein Blick auf die Nährstoffangaben einer Tafel Schokolade, um sich klar zu machen, wie wenig Kalorien man verbrennt, wenn man sich zwar bewegt, aber sonst keinen Sport treibt.

Überhaupt stellten sich nach einiger Zeit kritische Fragen ein: Als ich meine tägliche Trainingszeit verdoppelte, gab das Gerät keine Belohnungsmeldung aus. Weshalb dieses Mal keine Anerkennung? Wie tickt die Watch? Ich bemerkte, dass das Gerät Gehen mehr honoriert als Fahrradfahren. Warum? (Ein Schwachpunkt, der mit dem fehlenden GPS der Series 1 zusammenhängen mag.) Und handelte es sich bei dem Gadget nicht um eine freche, übergriffige Maschine, von der ich mir nichts sagen lassen will, und schon gar nicht Sätze wie:

„Dirk, normalerweise hast du um diese Uhrzeit schon mehr vom Trainingsring und Stehring geschafft. Werde aktiv!“

Meine Fragen bezogen sich nicht nur auf einzelne Aspekte, sondern auf das gesamte Gerät: Internalisiert man durch die Aktivitätsmessung tägliche Bewegung oder lediglich den Ehrgeiz, die Reihe der geschlossenen Ringe in den Wochen- und Monatsübersicht nicht zu unterbrechen? (Mithin die Uhr niemals abzulegen und künftig immer wieder eine neue zu kaufen?) Verspricht sie die Lösung eines Problems, das sie selbst erst schafft, wie Niklas Maak spekulierte? Und schließlich: Ist der hochgerüstete, energieverbrauchende Aufwand überhaupt nötig, um so simple Dinge wie einen halbstündigen Mittagsspaziergang oder standardmäßiges Treppensteigen zur Gewohnheit werden zu lassen?

Der hochqualifizierte, gut geschulte Trainer, der den zweiten von mir im Berliner Apple Store besuchten Kurs leitete, eine sogenannte Studio Hour zum Thema Aktivität und Wellness, hätte auf intellektuelle Fragen dieser Art wohl geraten, mich locker zu machen. Warum grundsätzlich werden, wenn das Ding mit seinem sanften Pockern am Handgelenk Anreize schafft, den Schreibtisch regelmäßig zu verlassen? Am Ende der anderthalbstündigen Sitzung hatte ich jedenfalls mehr trackings und notifications eingerichtet, als ich es nach der Lektüre von Steffen Maus quantifizierungskritischem Buch Das metrische Wir für möglich gehalten hätte. Die Apple Welt ist fun.

Series 4

Nach der anfänglichen Euphorie über die von der Apple Watch zur Routine gewordenen Bewegung verlor das Gerät an Reiz. Andere Apps, etwa diejenige, die zum meditativen Atmen anhalten will, machten auf mich den Eindruck einer lächerlichen Spielerei. Nach einigen Wochen kannte nicht nur die Uhr mich, sondern auch ich die Uhr. Sie war nurmehr ein Gehäuse, das seine Geheimnisse ausgeplaudert hatte. Ich begann, auf Updates zu warten, die nächste Generation, Überraschungen. Mit der Series 4 sind sie da, in Form von Benachrichti­gungen bei niedriger und hoher Herzfrequenz, Sturzerkennung, Notfall SOS und neuen Trainings, die weniger exzessive Bewegungsarten wie zügiges Gehen oder Wandern einschließen. Solche Eigenschaften setzen die Fokussierung auf Gesundheit fort, jedoch auf eine ruhigere, man könnte sagen: auf ältere Kunden abzielende Art.

Apple Watch Series 4

Über die Gesundheitsfunktionen hinaus eignet sich die Apple Watch dazu, unterwegs kurz zu telefonieren, Textnachrichten zu empfangen und mit vorgefertigten Bausteinen zu beantworten, Termine nachzusehen, Timer und Wecker einzurichten, sich den Weg ansagen und das Wetter anzeigen zu lassen, mit Wallet am Flughafen einzuchecken oder beim Laufen Musik und Podcasts zu hören. Doch all das kann ein iPhone auch – und manches mehr und vieles besser.

Die Uhr ist chic; das neue Standardzifferblatt ein beeindruckendes Stück Informationsdesign. Dafür jedoch wenigstens 429 Euro auszugeben, zählt zu den frivolen Freiheiten des Kapitalismus, erklärt aber nicht, was den eigentlichen Reiz der Apple Watch ausmacht.

Was die Apple Watch eigentlich ist

Die Apple Watch ist keine Uhr, auch wenn sie die Zeit anzeigt. Sie ist kein Minicomputer, selbst wenn sie technisch betrachtet einer ist. Und sie ist kein Fitnesstracker, obwohl dessen Funktion eine ihrer zentralen Eigenschaften darstellt. Apple Watch ist ein Gerät zur Organisation von Zeit, und zwar von Lebenszeit, von Eigenzeit. Sie misst Zeit und macht sie sichtbar. Sie strukturiert Zeit und interveniert in deren Einteilung. Sie hält dazu an, das Beste aus dem Befristeten zu machen. Darin liegt ihr eigentlicher Kern, dessen erste Manifestation Gesundheitsfunktionen sind. Je besser Apple mit der Watch diese existentielle Ebene der Zeiteinteilung adressiert, desto erfolgreicher wird sie werden.

Abbildungen: © Laura Reen & Apple

1. November 2018