Drei Fragen an … die Glasexpertin Anneli Kraft
Gibt es Kriterien, die ein gutes Glas von einem minderwertigen unterscheiden? Die Kunsthistorikerin Anneli Kraft hat sich in ihrer Doktorarbeit intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt und ist dabei zu einem Ergebnis gekommen, das alle, die Qualitätszuschreibungen für eine rein subjektive Angelegenheit halten, überraschen wird: „Es gibt gutes und schlechtes Design und die Beurteilung ist nicht abhängig vom persönlichen Geschmack.“
Anneli Kraft über Qualität bei Trinkgläsern
Anneli Kraft arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt und ist eine weithin anerkannte Glasexpertin. Nicht nur war sie nach einer Ausbildung an der Glasfachschule Zwiesel viele Jahre als Glasgestalterin tätig, sie wirkt auch als Vorsitzende des Vereins glasspool, dessen Ziel darin besteht, der europäischen Glaskultur zu größerer Sichtbarkeit zu verhelfen.
Bereits in ihrer 2015 veröffentlichten Masterarbeit (Die Entwicklung des Gebrauchsglases von der manuellen zur maschinellen Herstellung am Beispiel der Kelchglasherstellung der Vereinigten Farbenglaswerke AG in Zwiesel von 1954 bis 1972) hatte sich Kraft mit der Glasgestaltung der Nachkriegszeit beschäftigt. Ihre kürzlich fertiggestellte Doktorarbeit Das gute Glas. Design digital sammeln und erforschen vertieft diese Auseinandersetzung durch intensives Quellenstudium sowie durch die Anwendung neuartiger Methoden der digitalen Kulturgeschichte.
Grafik: Luisa Stömer, © Anneli Kraft
Designhistorisch setzt Krafts Studie in der Mitte des 20. Jahrhunderts an, bei den unter dem Stichwort „gute Form“ diskutierten Richtlinien hochwertiger Gestaltung. Für unsere Zeit wünscht sie sich einen ähnlich geschulten Blick und eine vergleichbar intensive und fachübergreifende Auseinandersetzung mit Alltagsgegenständen.
Für INVENTUR gab Anneli Kraft Auskunft über die Erträge ihrer Forschung.
Was verstehen Sie unter Qualität?
„Im Produktdesign kann man auf mehreren Ebenen von Qualität sprechen, dazu zählen Material, Herstellung, Funktion und Form. Für das Gesamturteil über die Qualität eines Gegenstandes ist das Zusammenspiel aller Ebenen ausschlaggebend.
Ich habe mich vor allem mit den Debatten um die ‚gute Form‘ in den 1950er und 1960er Jahren beschäftigt, die sich unter anderem in Zeitungsartikeln, Tagungsbeiträgen oder bei der Festlegung von Kriterien für Wettbewerbe und Preisverleihungen niederschlugen. Auffällig ist, dass sich an den Diskussionen sowohl Designer wie Max Bill und Institutionen wie der Rat für Formgebung als auch Hersteller und Händler beteiligten und versucht haben, ihre Expertise zusammenzubringen. Im Laufe der Jahre wurden die Kriterienkataloge immer spezifischer und nahmen teils groteske Formen in Gestalt ausufernder Listen mit hunderten von Kriterien an. Auch wenn uns die Haltung der Protagonisten zur ‚guten Form‘ doktrinär erscheint, haben die allgemeinen Kriterien nichts an Bedeutung verloren, sondern sind im Gegenteil gerade vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit weiterhin aktuell. Dazu zählt auch der Gedanke, dass dauerhafte, formal schöne Gebrauchsgegenstände für jeden erschwinglich sein sollten, was nicht bedeutet, dass sie billig sein müssen. Das Design der Nachkriegsmoderne war nicht für Eliten gemacht, sondern sollte einen Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft leisten.“
Woran lässt sich die Qualität von Gebrauchsgläsern erkennen?
„Was das Material betrifft, so kommt es bei Trinkgläsern unter anderem darauf an, dass sich keine Bläschen oder Schlieren im Glas befinden. Ein Wasser- oder ein Weinglas ist im besten Fall transparent, damit die Farbe der Flüssigkeit sichtbar ist. Bei der Herstellung stellt zudem die Nacharbeitung ein Qualitätsmerkmal dar: Sind die Ränder gut geschliffen oder verwärmt? Wie sieht es mit dem Trinkkomfort aus? Hinsichtlich des Nutzens spielt es eine Rolle, dass beispielsweise der Geschmack des Weines in einem Glas auch zur Geltung kommt, aber auch, wie gut man das Glas halten kann und ob es sich problemlos reinigen lässt. Soll es spülmaschinentauglich sein? Bezüglich der Form halte ich eine gewisse Ausgewogenheit für wichtig, etwa dass der Stil eines Weinglases nicht zu lang und das Glas nicht zu dünn ausfällt. Aber hier gibt es Spielräume für eine charakteristische Note. Schwierig wird es, wenn sich Extravaganzen auf Kosten der Funktion durchsetzen.“
Welche Trinkgläser verwirklichen diese Kriterien auf besonders überzeugende Weise?
„Bei meiner Beschäftigung mit Gläsern der gestalterischen Moderne hat mich das breite Formenspektrum dieser Zeit überrascht. Entgegen der landläufigen Meinung sind Trinkgläser aus der Nachkriegszeit keineswegs alle ähnlich.
Ein gutes Beispiel für eine dauerhafte Form ist die Garnitur Fuga von Rosenthal, die bis heute produziert wird. Auch andere Gläser aus der Zeit der ‚guten Form‘ sind nie ganz aus den Haushalten und der Gastronomie verschwunden. In der DDR gab es ein Glas mit dem Namen Superfest, das extrem kratzfest war und Stürze sehr gut aushielt, aber dennoch nicht zu dick ausfiel. Neuere Technologien sorgen ebenfalls für Robustheit wie etwa beim besonders bruchfesten Tritan-Kristallglas von Zwiesel.
Wer sich neue Gläser kauft, sollte zunächst einmal überlegen, wofür er oder sie die Gläser braucht. Dann ist es eine Überlegung wert, ob es später möglich sein wird, weitere Exemplare oder Ersatzgläser zuzukaufen. Das ist zumeist nur bei Qualitätsherstellern der Fall. Schließlich sollte man sich fragen, ob es zu einem bestimmten Preis überhaupt möglich ist, fair und vernünftig zu produzieren. Wenn nicht, rate ich dazu, sich für andere Hersteller entscheiden.“
Lesen Sie auch den Artikel über die Frage, welches Weinglas das beste ist.
Eine Liste aller Interviews mit Qualitätsexperten finden Sie im Archiv
17. Dezember 2020