Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Drei Fragen an … die Sommelière Paula Bosch

Wenige Menschen in der Weinwelt verbinden Sachverstand und Leidenschaft auf so begeisternde Weise miteinander wie Paula Bosch. Im Laufe ihrer beeindruckenden Karriere hat sich die Münchener Sommelière immer wieder als Pionierin erwiesen. So trug ihr die 1981 angetretene Stellung als Chef-Sommelière im Kölner Hotel Inter-Continental den Ruf als erster weiblicher Sommelier Deutschlands ein. 1988 erhielt sie den vom Gault Millau erstmals vergebenen Titel Sommelier des Jahres.

Paula Bosch

Mit Charme, Witz und Entschiedenheit im Urteil festigte Paula Bosch ihren Ruf als eine der Besten ihres Fachs nicht zuletzt im michelinbesternten Münchener Restaurant Tantris, wo sie von 1991 bis 2011 den über 50 000 Flaschen umfassenden Weinkeller verantwortete. Zahlreiche Ehrungen, darunter 2013 der 5 Star Award als „one of the finest sommeliers worldwide“, zeugen von internationaler Anerkennung.

Seit 2011 ist Paula Bosch, die bei Blindproben herausschmecken kann, ob ein Wein einen Schraubverschluss hat, als selbständige Weinberaterin tätig. Ein breiteres Publikum kennt sie als Autorin einer Weinkolumne im Süddeutsche Zeitung Magazin sowie als erfolgreiche Buchautorin. Titel wie der unterdessen vergriffene Longseller Weingenuss machten sie zu einer der bekanntesten Weinpublizistinnen Deutschlands. Dieser Tage erschien Deutscher Wein und deutsche Küche, ein Buch, in dem Paula Bosch mit Sternekoch Tim Raue diese ebenso naheliegende wie selten erkundete Kombination kenntnisreich auslotet.

Paula Bosch Tim Raue Deutsche Küche Deutscher Wein

Ich hatte Gelegenheit, Paula Bosch in München auf ein Glas Grünen Veltliner zu treffen und sie nach ihrem persönlichen Verständnis von Qualität bei Wein und Weinberatung zu befragen.

Was verstehen Sie unter Qualität?

„Zunächst einmal muss mir ein guter Wein schmecken, ganz gleich auf welcher Preisstufe er angesiedelt ist. Es muss Spaß machen, ihn zu trinken, und sein Genuss sollte Freude bereiten. Qualitätsunterschiede ergeben sich aus der Intensität. Wie sehr riecht der Wein nach der Rebsorte, aus der er gemacht ist? Präsentiert er sich – wenn es sich beispielsweise um einen Riesling handelt – mit Duftnoten von gelbfarbigem Obst wie Aprikosen, Äpfel, Mirabellen, Pfirsich, Zitrone oder Honigmelonen. Hat er die für ihn so typische markante Säure?
Wer kein perfekt gereiftes Lesegut erntet, kann später im Keller korrigieren, aber niemals besten Wein daraus machen. Schmackhaft mag er sein, aber spätestens am nächsten Morgen merken sie, ob getrickst wurde oder sie einen natürlichen, bekömmlichen Wein getrunken haben. Eine bedeutende Nebensache, die leider viel zu wenig beachtet wird. Mit natürlich meine ich allerdings nicht die sogenannten Naturweine – eine Bezeichnung, die auf den Etiketten übrigens längst untersagt ist. Naturbelassene Weine, also jene, die aus unbehandelten Trauben nach alter Väter Sitte produziert wurden, können zwar mit ihren oxidativen, quittigen, erdigen Noten faszinieren, aber auch zu weit gereift, sogar leicht faulig daherkommen und jede Menge Fehltöne aufweisen. Eine gewisse Frische, Säure, Lebendigkeit und Sprungkraft zeichnet einen guten Wein aus – neben Komplexität und Fülle. Nicht nur der Trinkende muss sich dem Wein nähern, der Wein muss auch zum trinkenden Menschen kommen.
Bei einem guten Wein harmonieren Duft und Geschmack. Der Wein sollte am Gaumen eine gewisse Länge haben. Wenn man weniger als fünfzehn Sekunden nachschmecken kann, hat man keine gute Qualität im Glas.
Der Preis ist übrigens kein sehr aussagekräftiger Qualitätsindikator. Zwischen den unterschiedlichen Kategorien besteht ein großer Preisunterschied, der nicht immer gerechtfertigt ist. Ich habe schon viele vermeintlich kleinere Weine getrunken, die nicht erkennbar schlechter waren als die wesentlich teueren Großen Gewächse, aber viele Euro weniger gekostet haben.
Um Qualität beim Wein beurteilen zu können, muss man viele Weine unterschiedlicher Qualitätsstufen probiert haben. Außerdem spielen die Umstände, unter denen getrunken wird, eine Rolle beim Erkennen von guter oder weniger guten Qualität. Der Wein sollte die optimale Trinkreife haben, richtig temperiert sein und wenn nötig genügend Zeit bekommen, um sich im Glas zu öffnen. Die neuen Jahrgänge werden bei den alljährlichen Präsentationen deutscher Spitzengewächse immer zu früh verkostet – und zudem noch in viel zu kurzer Zeit. Die Besten haben oft keine Chance – Irrtümer sind so unvermeidlich. Guter Wein braucht Zeit.“

Wie setzen Sie diese Vorstellung in Ihrer Arbeit um?

„Als Sommelière sollte man dem Gast stets das Gefühl geben, dass seine Wünsche interessieren und daher immer als erstes fragen: Was möchten Sie denn trinken? Was mögen Sie – oder was mögen Sie nicht? Die Weinberatung beginnt mit dem persönlichen Interesse an demjenigen, den ich zu beraten habe. Qualität in der Weinberatung bedeutet, sein Gegenüber ernst zu nehmen. Ihm zuhören. Welche Wünsche hat es? Welche finanziellen Möglichkeiten? Bei meiner Weinberatung möchte ich den Menschen ihren Geschmack nicht nehmen, sondern ihn höchstens formen, erweitern und ergänzen. Ich komme mit einem Angebot, möchte offen und neugierig machen auf ein Universum, das der Gast noch nicht kennt. Und bei meinen Büchern, wo ich mich nicht mit dem Gegenüber unterhalten kann, muss ich so schreiben, dass das bloße Lesen die Lust auf ein Glas Wein weckt und verstanden wird, was ich schreibe.
Um gezielt empfehlen zu können, mache ich mir sehr genaue Degustationsnotizen. Wiederholtes Probieren ist Pflicht, und man muss bereit sein, sein Urteil nach neuen Trinkerfahrungen zu korrigieren oder zu revidieren. Ein Punktesystem wie bei Parker gibt es bei mir nicht, ich verlange von meinen Lesern mehr als eine banale Einteilung oder Kategorisierung.“

An welchem Beispiel wird Ihr Qualitätsideal besonders deutlich?

„Einen einzelnen Wein herauszuheben, wäre natürlich fatal. Bei den vielen guten und sehr guten Weinen will ich mich auch gar nicht festlegen bis dass der Tod uns scheidet. Aber ich nenne sicherlich Weingüter und Winzer beim Namen, solche die schon seit langer Zeit in Deutschland erstklassige Qualitätsweine liefern, beispielsweise von Acham-Magin, J.B. Becker, Fritz Haag, Joachim Heger, Leitz, Weltner oder Ziereisen. Aber auch jüngere Winzer wie Stephan Attmann vom Weingut von Winning, Philipp Kuhn, Salwey und die Familie Völcker in der Pfalz sind in meiner Vorstellung von Qualitätsweinproduzenten fest verankert.
Unter den Weinexperten schätze ich René Gabriel als jemanden mit einem enormen Fachwissen, der über Jahre hinweg auch bei Blindverkostungen höchstes Urteilsvermögen bewiesen hat, oder seine Schweizer Kollegin Chandra Kurt mit ihren literarischen Bestsellern.
Des weiteren möchte ich das Restaurant Schwarzer Adler im badischen Oberbergen nennen, wo Sommelière Melanie Wagner seit Jahren die Küche mit einer exzellenten Weinberatung begleitet und eine Weinkarte ihresgleichen sucht, die sich besonders durch eine außergewöhnliche Jahrgangstiefe beim Bordeaux auszeichnet. Schließlich gelten meine Hochachtung und mein Respekt zwei Damen in der deutschen Weinszene, die den Titel Master of Wine, kurz MW genannt, erlangt haben, Caro Maurer und Romana Echensperger. Dieser Titel ist den Besten in der Weinszene vorbehalten, gilt die Prüfung doch als die schwerste im Weinbereich weltweit und verlangt über Jahre eine Qualitätsleistung, die nur ganz wenige Menschen liefern können.“

Eine Liste aller Interviews mit Qualitätsexperten finden Sie im Archiv.

Foto: © Jörg Lehmann

23. Oktober 2015