Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Omnichannel. Konsum während und nach der Pandemie

Weit entfernt von einem „close to normal“, haben andauernde Freiheitseinschränkungen und eine zermürbende Pandemiepolitik massive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung. Zugleich beeindrucken viele Lokale und Läden mit ihrem Einfallsreichtum und bewundernswerter Beweglichkeit. Klar ist: die Pandemie verstärkt und beschleunigt Trends, die sich bereits zuvor abgezeichnet haben. Von Monocle über den Economist bis zu brand eins widmen sich aktuelle Magazine der Zukunft des Konsumieres. Ein zentrales Stichwort lautet: omnichannel.

Es fällt auf: ein gutes Jahr seit Beginn der Pandemie widmen sich eine Reihe umfangreicher Reportagen dem Blick nach vorne, darunter der Economist mit einem achtteiligen Special Report über The future of shopping, der von einem hörenswerten Podcast und einem materialreichen Video begleitet wird:

Noch prägen – in den Worten des Philosophen Markus Gabriel – „Berufs-, Gesangs-, Tanz-, Konsum- und Kulturverbote“ die Lage, doch zugleich zeichnen sich Trends ab, die nach der Pandemie ihre Gültigkeit behalten werden. Aus meiner Sicht sind es vor allem drei Entwicklungen.

Omnichannel. Drei Trends im Konsumbereich

Selbstsorge und kleine Dinge

Bedrohte Existenzen, sinkende Einkommen, verbrauchte Ersparnisse: in unsicheren Zeiten neigen Konsumentinnen nicht dazu, große Sprünge zu machen. Zu Recht resümiert Arne Storn deshalb im Wirtschaftsmagazin brand eins: „An die Stelle großer Anschaffungen tritt die kleine Belohnung, die man sich gönnt.“

Selbstsorge

Das Kümmern um sich selbst zählt zum Wenigen, was Menschen noch kontrollieren können. Kein Wunder also, dass kleine Dinge, die einen Unterschied im Wohlbefinden versprechen, Konjunktur haben: von guten Lebensmitteln über Kosmetik bis zu Einrichtungsgegenständen.

Das Zuhause als Rückzugsraum

Wenn Reisen, Konzerte, Kino-, Restaurant- und Barbesuche verboten sind, verlagert sich der Konsum in die Wohnung. Der Boom von Streamingdiensten, Versandhandel und Lieferservices zeugt davon.

Zuhause als Rückzugsort

Ob dieser Trend anhalten wird, weil uns das Social Distancing und die Angst tief in den Knochen sitzen oder ob sich der Nachholbedarf Bahn brechen wird, wenn es die Lage wieder zulässt, wird die Zukunft zeigen. Freilich spricht einiges dafür, dass als positiv erlebte Dinge wie das Kochen zuhause, das Gärtnern auf dem Balkon oder das bequeme Beliefertwerden bleiben.

Omnichannel oder lokal und digital zugleich

Bislang galten die Wiederentdeckung des Lokalen und die immer umfassendere Digitalisierung als paradoxe Gleichzeitigkeit. Unterdessen schließen sich die beiden Trends jedoch nicht mehr aus und werden immer häufiger miteinander verbunden.

Omnichannel

Zum einen kaufen Menschen gerne in der Nachbarschaft, wenn damit fachlich kompetente und persönliche Beratung sowie ein angenehmes Erlebnis verbunden sind. Zum anderen schätzen Konsumenten die riesige Auswahl und rasche Verfügbarkeit der Waren im E-Commerce. Mit Modellen wie Click & Collect finden beide Elemente zusammen. Zudem sind mehr und mehr kleinere Einzelhändler auch im Internet präsent, während bislang nur über das Internet distribuierende Marken Ladenlokale eröffnen, die eine persönliche Interaktion mit den Kunden ermöglichen und eine Marke vor Ort erlebbar machen. Mit anderen Worten: kanalübergreifende Konzepte sind im Aufwind. Das nennt man, je nach Grad der Verschränkung, Multi-, Cross- oder Omnichannel.

Anstatt ihre Produkte gegen hohe Gebühren im Amazon-Allerlei untergehen zu lassen, nutzen mehr und mehr kleine Firmen die direct-to-consumer-Lösung Shopify. Das von dem deutschen Softwareentwickler Tobias Lütke in Kanada gegründete Unternehmen versteht sich als „the worlds first retail operating system“ und bietet Läden eine Vertriebsinfrastuktur im Netz, die den Marken die Kontrolle über ihre Kommunikation belässt. Am Beispiel der Schuhmarke Allbirds, die in sowohl in physischen Läden als auch über digitale Kanäle verkauft, berichtet der Economist:

„The rationale is that by avoiding middlemen, whether online or offline, Allbirds can invest in more sustainable materials that go down well with its rich, techie clientele. It also helps it keep tabs on its customers.“

Allerdings müssen die Kunden einen Anbieter erst einmal finden. Hier sieht Allbirds-Mitgründer Joey Zwillinger einen „gravitational pull of Amazon and other tech platforms“ wie soziale Medien und Googles Suchmaschine. Insofern bleiben kleine Betriebe trotz – oder gerade wegen – omnichannel abhängig von jenen Konzernen, die schon vor der Pandemie die Märkte beherrschten.

Abbildungen: Round Icons*

25. März 2021