Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Steiners Postauto. Eine Bildgeschichte

Wer keine Zeit hat, sich mit der verkehrstechnischen Erschließung des Engadins zu befassen, den zunächst als Privatdruck erschienen Lebenserinnerungen eines Architekten andere Lektüren vorzieht und alten Postkarten allenfalls flüchtige Aufmerksamkeit zukommen lässt, sollte gleichwohl zu diesem Buch greifen. Denn Steiners Postauto lässt seine Leser nicht unberührt: als gestaltetes Objekt, als Bildgeschichte und als Spurensuche.

Steiners Postauto

Das Buch als Objekt

Was für ein schönes Buch: brauner Leinenumschlag mit Prägedruck und Banderole, das Vorsatzpapier in genau dem richtigen Gelbton, die Typografie ein Traum. Steiners Postauto, 2007 vom Schweizer Architekten Marcel Meili als Privatdruck für seine Eltern und Freunde veröffentlicht und jetzt als Verlagsausgabe bei Scheidegger & Spiess in Zürich herausgekommen, ist ein Buch, das einen als Objekt zum Inhalt zieht, ganz gleich ob man sich zuvor dafür interessierte oder nicht.

Steiners Postauto
Charles Kuhn, Plakat für die Schweizerischen Alpenposten (englische Fassung), 1928. Sammlung Museum für Kommunikation, Bern. Aus: Michael T. Ganz, Marc Valance, Herbert Steiner: gelb fahren. 100 Jahre Postauto, Werd Verlag, Zürich 2006.

Teils Autobiografie, teils Kulturgeschichte, geht es der verkehrstechnischen Erschließung des Engadins nach. Den Ausgangspunkt bildet eine Aufnahme des Fotografen Albert Steiner, die den 2019 verstorbenen Schweizer Architekten Marcel Meili veranlasste, dem Wandel des Alpenraums durch dessen verkehrsinfrastrukturelle Erschließung nachzugehen.

Schweizer Alpenstrasse
Werbung der Georg Fischer AG in «Auf Schweizer Alpenstrassen», 1930.

Steiners Postauto: eine bild-textliche Spurensuche

Kein Raum bleibt unverändert, wenn ihn jemand betritt. Keine Gegend bleibt wie sie war, wenn sie verkehrstechnisch ‚erschlossen‘ wird. Steiners Postauto geht den kulturellen Effekten infrastruktureller Veränderungen am Beispiel der Alpen nach. Eine durchnummerierte Bildleiste mit 121 farbigen und 86 schwarzweißen Abbildungen zieht sich auf stets gleicher Höhe durch die 124 Buchseiten; die Ziffern tauchen als Hochzahlen im Fließtext wieder auf, lose mit den Ausführungen gekoppelt. Das feste, griffige Papier hält von raschem Durchblättern ab und verleitet zu einem Lesetempo, das dem Thema gerecht wird, geht es doch um Zeitlichkeit, darum, wie eine jahrtausendealte Landschaft von der Beschleunigungsmoderne durchzogen wird.

Schweizerische Alpemposten
Emil Cardinaux, Plakat «Schweizerische Alpenposten», PTT-Reisedienst, 1922. Sammlung Museum für Kommunikation, Bern. Aus: Michael T. Ganz, Marc Valance, Herbert Steiner: gelb fahren. 100 Jahre Postauto, Werd Verlag, Zürich 2006.

Ich gestehe, dass mich dieses Buch allein durch seinen buchgestalterischen Reiz in den Bann gezogen hat. Das Thema ist so wohltuend weit von unserem trüben Lockdown-Winter entfernt, dass es zu einem unverhohlenen Eskapismus einlädt. Wie wäre es, sich Zeit für eine ganz und gar abwegige Lektüre zu nehmen, fernab vom Weltgeschehen, eingeschneit, einfach so?

Postauto Alpen
Postauto auf dem Julier in den 1960er-Jahren © Foto: Hans Steiner, St. Moritz. Sammlung Museum für Kommunikation, Bern. Aus: Karl Kronig, Museum für Kommunikation Bern (Hg.): Ab die Post. 150 Jahre schweizerische Post, AS Verlag, Zürich 2009.

Marcel Meili: Steiners Postauto. Eine Bildgeschichte. Scheidegger & Spiess 2020. 38 Euro.

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3. Dezember 2020