Sachbuch schreiben oder Wie mein neues Buch entstand
Wer ein Sachbuch veröffentlicht, muss nicht nur mit Fragen zum Inhalt seines Werkes rechnen, sondern auch zu dessen Entstehung. Wie sind Sie auf die Idee gekommen? Wie lange haben Sie daran geschrieben? Wie haben Sie einen Verlag gefunden? Ein Werkstattbericht zum Erscheinen meines neuen Buches.
Am 20. September kommt im Wiener Brandstätter Verlag mein Buch Qualität! heraus. Seine Entstehung, so stimmig und einleuchtend sie im Rückblick erscheint, erweist sich als eine durchaus hindernisreiche Geschichte, in der viele Faktoren eine Rolle spielen.
Von der Idee zum Exposé
Die Idee, ein Buch über „Qualität“ zu schreiben, hatte ich bereits vor gut zehn Jahren. Zunächst freilich handelte es sich um wenig mehr als eine vage Intuition. Ich war zwar angetan von gut gemachten Dingen, aber kaum qualifiziert, über sie zu schreiben. Das änderte sich, als ich die Forschungsstelle Konsumkultur an der Universität Hildesheim aufbaute und mich als Wissenschaftler intensiv mit der materiellen Kultur beschäftigte. Von dieser Auseinandersetzung konnte ich für mein Buchprojekt gleich doppelt profitieren, denn um erfolgreich ein Sachbuch zu schreiben, muss man sowohl eine überzeugende Idee mitbringen als auch ein biografisches Profil, das den Autor glaubhaft macht.
Je länger ich mich mit meinem Thema beschäftigte, desto klarer wurden mir die Schwierigkeiten: Das Buch sollte meine Begeisterung transportieren, aber nicht in ein werbliches Schreiben abgleiten. Es sollte ein wissenschaftlich seriöses Sachbuch sein, aber auch praktische Vorgehensweisen für den Alltag an die Hand geben. Zudem wusste ich aus der Geschichte der Konsumkultur, dass Initiativen zur sogenannten Geschmackserziehung immer wieder daran gescheitert waren, dass Menschen sich ungern bevormunden lassen, vor allem nicht im Alltagsleben. Wie könnte ich all diese Fallen vermeiden?
Zu meinen größten Schwierigkeiten beim Konzipieren des Buches zählten also weniger die Materialrecherche oder die Struktur als das Finden einer Schreibweise. Erleichtert wurde meine Suche jedoch dadurch, dass mir die Wirklichkeit gleichsam entgegenkam. Denn in zahlreichen Gesprächen mit Praktikern ging mir auf, dass gerade eine neue Qualitätswirtschaft entsteht, deren Vorstellung von Qualität sich grundlegend von derjenigen der Industriegesellschaft unterscheidet und in der es um ein ebenso ethisch wie ästhetisch verstandenes, gutes Leben geht. Für mein Sachbuch musste ich also nichts weiter tun als diese Entwicklung aufzugreifen, die darin liegenden Möglichkeiten herauszuarbeiten und auf diese Weise zu einer reflektierten, wertschätzenden Haltung zum Alltagsleben einzuladen.
Vom Exposé zum Verlag
Ich begann, an einem Exposé und einem Probekapitel zu arbeiten, nahm das Feedback meiner Literaturagentin entgegen, feilte an der Positionierung, überarbeitete. Das Erstellen eines Sachbuchexposés ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, auch für erfahrene Autoren. Ein solches Dokument enthält Angaben zum Genre und zur Zielgruppe, zum Umfang und zum Zeitplan, zur Position, der Struktur und den Inhalten des geplanten Buches, es umfasst eine Marktanalyse und ein Autorenprofil. Man muss viel beachten und den richtigen Ton treffen. Am Ende steht ein umfangreiches Papier, das im Kern bereits das gesamte Sachbuch enthält. Es handelt sich um die komprimierte Zusammenfassung eines noch ungeschriebenen Buches.
Im Spätsommer 2019 machte sich meine Literaturagentin, die bereits meinen Kriminalroman und meine Gebrauchsanweisung für Budapest und Ungarn erfolgreich vermittelt hatte, an die Arbeit und bot meine Buchidee einer Reihe von Verlagen an. Die Sache liess sich gut an. Lektoren zeigten sich interessiert. Dann kam die Pandemie.
Die Buchmessen fielen aus. Termine platzten. Buchhandlungen schlossen. Wer, fragte ich mich, würde sich noch für das gute Leben interessieren, wenn der Kauf von Desinfektionsmitteln und Klopapier Vorrang hatte? Nach all den Jahren der Vorarbeit hätte der Zeitpunkt kaum ungünstiger sein können. Ein Desaster.
Doch die Situation nahm einen überraschenden Verlauf: Viele Menschen begannen, das gute Leben in den eigenen vier Wänden zu kultivieren, regional einzukaufen, es sich zuhause schön zu machen. Weinhändler mussten ihre Lager vergrößern, um der Nachfrage gewachsen zu bleiben. Mehr noch: Der deep reset, von dem Cal Newport spricht, setzte ein. Zahlreiche Menschen fragten sich auf einmal, ob die Pandemie nicht ein Einschnitt sein könnte, in dem sie ein anderes, stärker auf Qualität setzendes Leben beginnen. Eines, das ihnen selbst, anderen und dem Planeten gut tut. Und irgendwann würde ja auch Licht am Ende des Tunnels sichtbar, das Reisen und Feiern wieder möglich.
Im Sommer 2020 herrschte freilich nach wie vor viel Unsicherheit auf dem Buchmarkt, doch nach einer Reihe von Verhandlungen stand fest, dass mein Buch erscheinen würde – in einem Verlag, den ich schon lange schätzte: Brandstätter in Wien.
Sachbuch schreiben im Lockdown
Für Schreibende gibt es nichts Besseres, als wenn Autor und Verlag an einem Strang ziehen. Rasch zeigte sich, dass mein Buch bei Brandstätter gut aufgehoben war. Titel und Untertitel wurden gemeinsam festgelegt (eine notorisch schwierige Angelegenheit, bei der über einen längeren Zeitraum sehr viele Varianten durchgespielt werden), die Zielgruppe präzisiert, Inhaltliches und Gestalterisches abgestimmt.
Vor allem aber musste nun das Sachbuch selbst geschrieben werden – neben meinen universitären Aufgaben, parallel zum Homeschooling, mitten im Lockdown, was beispielsweise Recherchereisen oder den Rückzug in Kaffeehäuser unmöglich machte. Bereits Anfang 2021 brauchte der Verlag eine vorzeigbare Leseprobe für die Vertreter; das komplette Manuskript sollte Ende April vorliegen.
Was die organisatorische Seite betraf, so profitierte ich von einer ruhigen Wohnung und einer verständnisvollen Familie. In gewisser Weise stellten sich die pandemiebedingten Einschränkungen als Vorzug heraus, da ich keine Zeit auf Pendelstrecken verlor. Auf der anderen Seite musste ich sehr bestimmt mit meiner Zeit umgehen, unter anderem, indem ich meine Rezensionen fürs Radio einstellte.
Inhaltlich profitierte nun ich vom langjährigen Vorlauf, den mein Buch hatte. Nicht nur kannte ich mich in der Forschung aus, ich hatte auch bereits vor längerer Zeit eine Vielzahl von Experteninterviews geführt, auf die ich nun zurückgreifen konnte. Hinzu kam meine Schreiberfahrung und die Möglichkeit, das Entstehen des Buches mit der akademischen Lehre zu verbinden: an der Universität Hildesheim gab ich am Institut für Literarisches Schreiben & Literaturwissenschaft gemeinsam mit Guido Graf ein Seminar zum Thema Sachbuch schreiben; an der Berliner Universität der Künste führte ich mit dem Ökonomen Franz Liebl ein Masterseminar zum Thema Qualität. Erleben, Bewerten und das Sprechen darüber durch.
Schreiben bedeutet vor allem eines: Klarheit zu gewinnen über das, was man sagen will. Mein Problem beim Verfassen des Qualitätsbuches war sicherlich kein Mangel an Material, wenngleich im Laufe der Monate Lücken geschlossen und Neuerscheinungen berücksichtigt werden mussten. Die eigentliche Herausforderung bestand darin, die sich beim Schreiben verfertigenden Gedanken stimmig zu gliedern, sie gut zu rhythmisieren und den passenden Ton zu finden.
Schreiben ist Arbeit an der Sprache. So habe ich beispielsweise Modewörter wie etwa „wertig“ vermieden und durchweg darauf geachtet, nicht von „guten“, sondern von „gut gemachten“ Dingen zu sprechen, um einen moralischen Unterton zu vermeiden und den Aspekt des Herstellens herauszukehren (was nicht bedeutet, dass die ethische Dimension der Dinge in meinem Buch keine Rolle spielt).
Das Sachbuch als Objekt
Der Brandstätter Verlag und ich teilten von Anfang an die Ansicht, dass ein Buch über Qualität selbst ein hochwertiges Objekt sein sollte. Zum meiner Freude war der Verlag bereit, sich entsprechend zu engagieren. Die Agentur Bleed, zu deren Kunden auch Hermès, Zaha Hadid und die Wiener Akademie der feinen Künste zählen, entwarf das Cover und kümmerte sich um die Buchgestaltung. Der Satz erfolgte in den bewährten Schriftarten Garamond und Helvetica, aufgelockert durch farblich herausgestellte Zitate und an materielle Dinge angelehnte, grafische Elemente. Ein professionelles Lektorat und Korrektorat waren selbstverständlich.
Das Buch erscheint als Hardcover mit einem Einband aus Ganzleinen. Gedruckt wird auf PEFC©zertifiziertem Naturpapier, in einer europäischen Druckerei, die auf ressourcenschonende und schadstofffreie Produktionsweisen achtet. Besonders erfreut hat mich, dass der Verlag bei einer Wiener Letterpress Karten im Buchdesign anfertigen lässt: gedruckt auf einer Heidelberger Presse von 1964.
Auf einer Heidelberger Presse von 1964 entstehen bei Schöndruck in Wien Karten zum Buch.
Die Vermarktung eines Sachbuchs
Während ich noch am Buch schrieb, begannen bereits die ersten Schritte zu seiner Vermarktung. Ideen wurden gesammelt, eine Strategie besprochen, Instrumente festgelegt. Schon im März kommt die Verlagsvorschau heraus, die dem Buchhandel das Herbstprogramm vorstellt. Dafür (und natürlich für die Website) musste ein Text formuliert werden, der die Alleinstellung des Buches auf den Punkt bringt. Verkaufsargumente wurden in der unvermeidlichen Form dreier Bulletpoints zusammengefasst, eine Autorenvita erstellt. Weitere Texte folgten: der Klappentext, der Text für die Pressemitteilung. Parallel zum Schreiben entstanden auch die Autorenfotos, für die der Verlag die Fotografin Julia Steinigeweg gewinnen konnte.
Foto: © Julia Steinigeweg
Anfang August begann die eigentliche Pressearbeit. Das Buch war nun zwar fertig geschrieben, doch neben der Korrespondenz mit der Lektorin hat man als Autor nach Beendigung eines Manuskriptes weitere Aufgaben. Ich stellte eine Playlist zum Buch zusammen, nahm ein Kurzvideo auf, bot Interviews und Gastbeiträge an. Es gab nun Hashtags zu meinem Buch (#qualität! #dirkhohnsträter #diedingedeslebens), und erste Pressetermine wurden vereinbart. Nun steuerte alles auf die Auslieferung zu.
Der Moment
Das kurze Zeitfenster zwischen Erscheinen und Jahresende ist für Buchautoren wichtig, weil Redaktionen Bücher vom Vorjahr in aller Regel nicht mehr rezensieren. Der Druck ist groß, denn zur Frankfurter Buchmesse im Oktober kommen sehr viele Neuerscheinungen auf den Markt. Ist ein Buch als Longseller gedacht, sieht die Sache etwas entspannter aus, dennoch gilt es, das Momentum der Aktualität zu nutzen.
Kurz vor dem Herauskommen meines Buches passierte erneut etwas Unvorhergesehenes. Der für den 12. September vorgesehene Erscheinungstermin musste aufgrund von Engpässen in der Papierindustrie verzögert werden. Doch es gelang dem Verlag, einen allzu langen Aufschub zu verhindern. Das neue Erscheinungsdatum: der 20. September.
Wie wird der Markt mein Buch aufnehmen? Kommt es zur richtigen Zeit und trifft es etwas, das die Menschen gerade bewegt? Wird ein neuer Lockdown den Vertrieb erschweren? Erhält das Buch genug Aufmerksamkeit, um an Fahrt zu gewinnen?
Ab nächster Woche werde ich mehr wissen. Und mich freuen, wenn mein Buch jemandem etwas bedeutet.
Abbildungen: Round Icons*
16. September 2021