Der Blog von Dirk Hohnsträter
Newsletter

Sachbuchmarketing. Erfahrungsbericht eines Autors

Vor drei Monaten kam mein Buch Qualität! heraus. Aus Anlass seines Erscheinens schrieb ich einen Artikel über den Weg von der Buchidee bis zur Veröffentlichung. Seither habe ich viel Zeit mit der Vermarktung des Buches verbracht und dabei eine Menge über das Sachbuchmarketing gelernt. Ein Erfahrungsbericht.

Mein zum Erscheinen von Qualität! verfasster Artikel über das Schreiben eines Sachbuches endete mit den folgenden Fragen:

„Wie wird der Markt mein Buch aufnehmen? Kommt es zur richtigen Zeit und trifft es etwas, das die Menschen gerade bewegt? Wird ein neuer Lockdown den Vertrieb erschweren? Erhält das Buch genug Aufmerksamkeit, um an Fahrt zu gewinnen?“

Jetzt kann ich erste Antworten geben, denn in den vergangenen drei Monaten habe ich eine Reihe interessanter Einsichten zum Thema Sachbuchmarketing gewonnen. Mein neu erlangtes Wissen ist rein qualitativ, nicht das Ergebnis einer Zahlenanalyse. Und da mein Buch erst seit 12 Wochen im Handel ist, kann es naturgemäß nur um eine vorläufige Auswertung gehen.

Fünf Überlegungen zum Sachbuchmarketing

Der Buchmarkt ist – wie wohl die meisten Märkte – weder ein komplett unberechenbarer Nobody-knows-anything-Markt, noch lassen sich Erfolge, vor allem von nicht bereits prominenten Autoren, mit hinreichend großem Budget und Datenmaterial einfach am Reißbrett planen.

In seinem Buch über die Gesellschaft der Singularitäten schreibt der Soziologe Andreas Reckwitz, dass kulturelle Güter

„immer zwei Filter passieren müssen, die zwar hintereinander geschaltet, jedoch real teilweise eng miteinander verbunden sind: den Filter der Aufmerksamkeit und den Filter der Valorisierung.“

Ohne Aufmerksamkeit, betont Reckwitz, könne es gar nicht erst zur Wertschätzung kommen, andererseits ziehe Beachtung allein nicht zwingend Wertschätzung nach sich, „schon gar nicht eine langfristige.“

Was Reckwitz abstrakt formuliert, bestätigt der Bestsellerautor Cal Newport, der kürzlich in seinem Podcast davon sprach, dass ein Sachbuch zwar initiale Aufmerksamkeit erzielen könne, wenn der Autor beispielsweise viele Newsletter-Abonnenten erreicht, es jedoch erst durch die Weiterempfehlung von Leserinnen und Lesern und mithin durch besondere Qualitäten das Zeug zu weitreichender Wirkung habe.

Was folgt aus diesem Befund für das Sachbuchmarketing?

Anfangsphase nutzen

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Buch Aufmerksamkeit findet, ist nie höher als in der Saison seines Erscheinens. Was im Herbst erscheint, liegt schon im Frühjahr nicht auf dem Novitätenstapel und wird auch nicht mehr besprochen, denn dann ist bereits das nächste Programm nachgerückt. Um so wichtiger ist es also, die Anfangsphase zu nutzen und rechtzeitig auf eine Neuerscheinung aufmerksam zu machen.

Hohnsträter Qualität

Es lohnt sich, mit einem hinreichenden Vorlauf zu arbeiten, zu wissen, wie man Journalisten professionell etwas anbietet und vor allem, über Kontakte zu Akteuren zu verfügen, die durch ihre eigenen Schwerpunkte ein Interesse am Buch haben könnten. Ich konnte in diesem Zusammenhang davon profitieren, dass ich bereits vor dem Schreiben meines Buches viele Interviews zu Themen der Konsumkultur gegeben hatte. Aber auch gründliche Recherche macht einen Unterschied. So kann man beispielsweise auf Publikationen stoßen, die eine Schwerpunktausgabe zum Buchthema planen – wie in meinem Fall das Magazin der mittelständischen Wirtschaft in Deutschland.

Zielgruppe erreichen & Multiplikatoren gewinnen

Die Zielgruppe eines Buches wird sowohl durch den Inhalt als auch durch die Form definiert. Beides ist im Fall meines Buches nicht ganz eindeutig.

Mit Blick auf den Inhalt geht es um die Frage: In welchem Regal steht ein Buch in der Buchhandlung? Tatsächlich bin ich immer sehr neugierig, wo ich mein Buch in einem Laden platziert finde. Denn Qualität! handelt von Kulinarischem ebenso wie von Kleidung, von der Wohnungseinrichtung ebenso wie von Software. Ein Nachteil, weil es schwerfällt, das Buch eindeutig zuzuordnen? Oder ein Vorzug, weil es Menschen mit unterschiedlichen Interessen anspricht? Mein Verlag glaubte an letzteres, und wie es aussieht, hat sich diese Einschätzung als richtig erwiesen. Vom journal culinaire über die Einrichtungsmagazine AD und Deco Home bis hin zu Nachhaltigkeitsjournalen wie dem Postwachstumsblog und Werde zeigten sehr unterschiedlich ausgerichtete Medien Interesse am Thema des Buches.

Pressearbeit

Was die Form des Buches betrifft, so handelt es sich zwar eindeutig um ein Sachbuch, doch will es trotz seiner klaren Position kein polemischer Debattenbeitrag und trotz seiner praktischen Anteile kein Ratgeber sein. Wer für ausgewogene Argumente und Nuancierungen keinen Sinn hat und bestimmte Vorurteile („Qualität gibt’s nur für Privilegierte“, „Hier geht es um Geschmacksvorschriften“) durch die Lektüre bestätigt sehen möchte, wird das Buch enttäuscht aus der Hand legen. Aus diesem Grund habe ich die Zielgruppe von Anfang an in Menschen gesehen, die dem Thema gegenüber bereits aufgeschlossen sind und Ideen, Werkzeuge und eine Sprache suchen, die sie bei ihrer Suche nach Qualität begleiten.

Sachbuchmarketing

Das Echo, das mein Buch in Deutschland, Österreich und der Schweiz bislang gefunden hat, bestätigt mich in dieser Positionierung. Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine und die NZZ am Sonntag boten Raum für aspektreiche Gespräche, und dass ein so renommierter Experte wie der Transformationsforscher Reinhard Loske das Buch als „anschlussfähig für eine Nachhaltigkeitspolitik auf der Höhe der Zeit“ bezeichnete, hat mich besonders gefreut.

Beim Sachbuchmarketing in den sozialen Medien hat der Brandstätter Verlag ebenfalls darauf gesetzt, dem Charakter des Buches gerecht zu werden. Das Talkformat Café Brandstätter, bei dem in einem Wiener Kaffeehaus Gespräche über Buchthemen stattfinden, bot dazu ein geeignetes Forum. Binnen weniger Tage verzeichnete die von Anna Wallner (Die Presse) moderierte Runde, bei dem ich mich mit der Modedesignerin Lena Hoschek und der Aktivistin Nunu Kaller über Qualität austauschte, bereits viele Tausend Aufrufe:

Vertrieb im Sachbuchmarketing neu erfinden

Vertrieb – das klingt nach dem unattraktiven Teil des Buchgeschäfts. Amazon, Key Accounts, E-Books… keine Stichworte, die bei Liebhabern inhabergeführter Buchhandlungen, profilierter Kleinverlage und bibliophiler Bücher die Herzen höher schlagen lassen. Doch auch der Vertrieb zählt zum Sachbuchmarketing. Und er sichert nicht nur die bequeme Verfügbarkeit eines Buches, sondern kann durchaus dessen Besonderheiten angepasst werden.

Sachbuchmarketing

Bei Qualität! begann dieser Prozess bereits mit der grafischen Gestaltung und der Ausstattung. Denn das Buch als materielles Objekt, das seinen Inhalt gestalterisch spiegelt und dadurch Glaubwürdigkeit ausstrahlt, das man gerne in die Hand nimmt und das sich gut verschenken lässt, findet im Idealfall nicht nur in anonymen Lagerhallen Platz, sondern in Umgebungen, wo es diejenigen entdecken, für die es gedacht und gemacht ist – wie etwa Concept Stores, die auch ausgewählte Bücher im Sortiment führen.

Buchmarkt

Vertrieb ist, wenn Menschen ein Buch spontan kaufen, weil sie die Gestaltung anspricht (und sich dann beim Autor melden, weil sie der Inhalt gepackt hat), wenn ein Unternehmen zu Weihnachten Exemplare an seine Kunden verschenkt (und den Autor zum Signieren einlädt) oder wenn – auch das ist meinem Verlag gelungen – ein so notorisch wählerisches Haus wie Manufactum das Buch ins Programm aufnimmt.

Professionell arbeiten und dranbleiben

Was sich wie eine von selbst laufende Sache liest, ist es keineswegs. Sachbuchmarketing macht Arbeit, erfordert Ideen, eine Strategie, immer neue Initiativen, Nachfassen, Fingerspitzengefühl und die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen. Es ist mühsam, jedes Interviewangebot auf die angesprochene Person zuzuschneiden, das vielfach Gesagte noch einmal frisch rüberzubringen, bei Fotosessions, die stets viel länger als besprochen dauern, Geduld und gute Laune zu zeigen, schiefe Rezensionen nicht korrigieren zu können und Ablehnungen auszuhalten.

Nach meiner Erfahrung helfen drei Dinge dabei, professionell mit den Mühen des Marketing umzugehen:

Erfolg, qualitativ betrachtet

Nichts spricht dagegen, einem Buch, von dem man überzeugt ist, weite Verbreitung zu wünschen – und denen, die darin investiert haben, gute Gewinne. Doch Erfolg lässt sich darüber hinaus nicht nur quantitativ – in Verkaufszahlen – sondern auch qualitativ – als kulturelle Wirkung – auffassen.

Diese kulturelle Wirkung fängt bereits an, wenn bestimmte Formulierungen aus dem Buch (z.B. die „Qualitätsinsel“) bei den Lesern auf Resonanz stoßen. Sie zeigt sich, wenn mir Journalisten sagen, sie hätten mehr Zeit als geplant mit der Vorbereitung des Interviews verbracht, da mein Buch so viele Aspekte anspreche, die sie schon lange und auch persönlich umtrieben und zu denen mein Text gleichsam den Quellcode freilege. Und sie macht sich bemerkbar, wenn kulturelle Einrichtungen auf den Autor zukommen, um über gemeinsame Aktivitäten zum Thema Qualität zu sprechen.

Sachbuchmarketing

Kein Marketing kann kulturelle Wirksamkeit herbeiführen. Dazu muss ein Thema bereits in der Luft liegen. Es muss relevant sein. Dann kann ein Momentum entstehen, kann das mehrfache Auftauchen eines Titels in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen oder dessen beiläufige Erwähnung durch die ‚richtige‘ Person ein Buch in die Bestsellerlisten bringen. Kein Autor, der sich einen solchen Erfolg nicht wünschte. Er kann durch Sachbuchmarketing begünstigt werden – und bleibt letztlich doch abhängig von der Begeisterung der Leserinnen und Leser.

Icon: Round Icons*

16. Dezember 2021