Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Die Kritik der Fast Fashion braucht korrekte Fakten

Zwei Jahre nach dem Unglück von Rana Plaza in Bangladesch gewinnt die Reflexion kultureller Voraussetzungen und sozialökologischer Folgen der Modeindustrie an Tiefe, beispielsweise durch den Dokumentarfilm The True Cost und die Ausstellung Fast Fashion, die noch bis 20. September im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist. Fast Fashion wird durch einen „Magalog“ genannten, fast 200 Seiten starken Katalog begleitet. Dank seines klaren Aufbaus und der vielfach lexikonartigen Beiträge bildet er einen guten Ausgangspunkt zur Beschäftigung mit dem Thema. Anschaulich stellt das Buch die immer größere Beschleunigung des Modegeschäfts dar: die Abstände zwischen Entwurf und Auslieferung, zwischen einer Kollektion und der nächsten, zwischen einem Kauf und dem nächsten sowie zwischen Tragen und Wegwerfen werden immer kürzer. Da selbst Angaben wie „Made in Europe“ keine Gewähr für faire, ökologisch verantwortungsvolle und hochwertige Produktion bieten, fällt auch kritischen Konsumentinnen die Orientierung schwer.

Fast Fashion
Fast Fashion

Erfreulich ist, dass Ausstellung und Katalog Position beziehen und sich nicht hinter einer bequemen kuratorischen Schwebe verstecken. Gleichwohl tragen historische und volkswirtschaftliche Einordnungen dazu bei, die Komplexität des Themas im Blick zu behalten. Neben der Vielzahl der vorgebrachten Aspekte überzeugt das Buch durch ein lesefreundliches Layout und Infografiken, die alternative Betulichkeit vermeiden.

Fast Fashion
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Allerdings hat der „Magalog“ auch einen Schwachpunkt, der seinem Anliegen schadet. Er suggeriert nämlich mit einer Fülle an Zahlen eine Präzision, die er nicht einhalten kann. Heißt es auf Seite 12, bei der Preiskalkulation eines Kleidungsstücks entfielen „maximal ein bis zwei Prozent“ auf den Lohn der Textilarbeiterinnen, so sind es einer Infografik auf Seite 48 zufolge 2,6 Prozent. Auf Seite 166 wird das Verhältnis des Lohns von Näherinnen in postsozialistischen Ländern und der Türkei zum Basis-Existenzlohn einmal mit 14 bis 36 und ein andermal mit bis zu 40 Prozent beziffert. Es mag kleinlich wirken, auf solche Ungereimtheiten hinzuweisen, sind die Zahlen doch so oder so beschämend. Nur suggerieren exakte Angaben eben eine Genauigkeit, die gar nicht vorhanden ist und deren Aufdeckung es Wohlwollenden schwer und Skeptikern leicht macht. Warum sollte man den vielen Fakten das „Magalogs“ vertrauen, wenn Widersprüche so mühelos aufzudecken sind? Dass zudem die meisten Zahlen in den Texten nicht mit genauen und nachvollziehbaren Quellenangaben belegt werden, verstärkt die Zweifel erst recht. Das ist bedauerlich, denn die Kritik der Wegwerfmode bedarf keiner Stellen hinter dem Komma, sondern guter Argumente und attraktiver Alternativen.

Lesen Sie auch die Sonderseite über Transparenz der Wertschöpfungsketten.

Abbildungen: Susanne A. Friedel, beyond fashion, 2012. © Susanne A. Friedel / MKG

24. Juni 2015