Wer fertigt für wen? Hinter den Kulissen der Markenmode
Im Gegensatz zu Haute Couture und Maßschneiderei wird Designerbekleidung nur selten im Modehaus selbst hergestellt. Während traditionsreiche Lederwarenmarken wie Hermès, Bottega Veneta und Prada ihre Lederwaren ganz oder teilweise in eigenen Produktionsstätten herstellen, ist die Fertigung des Prêt-à-porter zumeist an Dritte ausgelagert.
Der Frage, wer für wen produziert, widmen sich verschiedene Internetforen. Die Methode besteht im Etikettenvergleich. Bei vielen Marken befindet sich in den Teilen nämlich nicht nur das Marken- bzw. Waschlabel, sondern auch ein Etikett, das Kennern Auskunft über die Fertigung gibt. Allerdings nicht bei allen. Jil Sander beispielsweise lässt nur das eigene Label zu, weshalb sich Hinweise zur Fertigung auf das notorisch umstrittene Made in beschränken. Interessierte Kunden bleiben auf ihr Vertrauen in die Marke, Firmenauskünfte und Reportagen angewiesen. Unaufgefordert Auskunft geben die Unternehmen zumeist nur dann, wenn etwas Positives zu vermelden ist: der Gebrauch organischer Baumwolle etwa oder – wie im Fall von Jil Sander – die Rückkehr zum renommierten Anzughersteller Caruso als die Namensgeberin wieder die Verantwortung für das Design übernahm.
Die Aufmerksamkeit, welche gemeinhin dem Design zukommt, lässt leicht vergessen, dass sich die schneiderische Kompetenz großer Namen in Grenzen halten kann. Man arbeitet zwar an Schnitten und lässt neuartige Stoffe entwickeln, doch sartoriales Wissen im engeren Sinn kauft man ein. Viele berühmte Designer sind Autodidakten, deren Talent eher in kreativer Gesamtleitung liegt denn im schneiderischen Detail. So tat sich beispielsweise Helmut Lang mit dem Wiener Schneidermeister Bernhard Niedersuesz zusammen, um die Schulterposter seiner Sakkos und Mäntel entwickeln zu lassen. Lukas Ossendrijver, verantwortlich für die Männermode von Lanvin, dem ältesten Pariser Herrenmodehaus, gestand in einem Interview [in: Qvest Nr. 35 (2008), S. 177] ein, letztendlich käme es in seinem Beruf darauf an, das Wissen zu haben, das man für die Fertigung eines Produktes brauche – und daran fehle es selbst Lanvin bisweilen. Ein Blick in die Anzüge dieser Marke zeigt, dass die ersten Stücke nach dem Relaunch im Herbst 2006 von Caruso gefertigt wurden, man jedoch mit wachsendem Erfolg auf andere Produzenten zurückgriff und nurmehr Laufstegstücke und ausgewählte, besonders teure Teile bei dem unter der Regie des ehemaligen Brioni-Chefs Umberto Angeloni stehenden Unternehmens fertigen lässt.
Dass auch die Aussagekraft der Herstelleretiketten begrenzt ist, zeigt ein Vergleich zwischen Prada und Hermès. Beiden lassen von Belvest fertigen, Prada teilweise, Hermès zumeist. Eine hohe Qualität ist dadurch zweifellos gesichert, aber nicht unbedingt Gleichwertigkeit. Denn natürlich bestimmt die auftraggebende Marke, welche Stoffe, Polster, Einlagen, Knöpfe und Fäden verwendet werden und wie detailliert die Verarbeitung sein soll. Ein Unternehmen wie Prada, dessen Markenkern durch intelligente Ästhetik definiert ist, kann beispielsweise auf durchgängige Verpaspelung der Säume verzichten, solange man diese von außen nicht sieht, während für das Haus Hermès, dessen Versprechen in höchster Qualität besteht, kaum sichtbare Details größere Bedeutung haben.
Verbrauchern, die der Gleichsetzung von hohem Preis und bester Qualität misstrauen, bleibt einstweilen nur, sich so gut wie möglich kundig zu machen. Oder gleich die Eigenlinien jener Firmen zu kaufen, bei denen die großen Designermarken produzieren lassen.
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Die Abbildungen zeigen Etiketten von Jil Sander Tailor Made, Caruso für Lanvin und Belvest.
27. Juni 2014