Gebauter Gebrauchswert: Ferdinand Kramer
In den 1920/30er Jahren zählte Ferdinand Kramer zu den Protagonisten des Neuen Frankfurt, in den 1950/60er Jahren entwarf er die modernen Universitätsbauten auf dem Campus Bockenheim. Wie menschlich war seine Sachlichkeit?
Souverän: Die Kuratoren des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, das derzeit den Bauten Ferdinand Kramers (1898-1985) eine sehenswerte Ausstellung widmet, lassen im Katalog neben Experten und Zeitzeugen wie Kramers Witwe Lore und Alexander Kluge auch einen erklärten Gegner des Modernisten zu Wort kommen: Martin Mosebach. Der nutzt die Gelegenheit, über Kramers Lebensleistung – man kann es kaum anders sagen – mit genüßlicher Verachtung herzuziehen. Als freudlos, erstickend und von „trotzige(r) Dürftigkeit“ charakterisiert der Schriftsteller die Bauten des Architekten, dessen Laufbahn in der „Abteilung Typisierung“ des Frankfurter Hochbauamtes begann.
Porträt Ferdinand Kramer (1970) © FERDINAND KRAMER ARCHIV, Foto: Horst Trebor Kratzmann
Doch nicht nur im Rückblick und auf konservativer Seite stößt Kramers Schaffen auf Skepsis. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, mit denen er zeitlebens befreundet war und denen er seine Exil- und Nachkriegskarriere im Grunde verdankte, wollten ihm stilistisch ebenfalls nicht folgen. Zwar holte Horkheimer seinen Jugendfreund 1952 aus dem New Yorker Exil als Baudirektor der Universität zurück nach Frankfurt und ließ ihn den Wiederaufbau der Universität aus dem Geist der Moderne verwirklichen, doch tauschte der Professor Kramers eigens für das Rektoratszimmer entworfenen, filigranen Schreibtisch durch ein dunkles, schweres Holzmöbel aus. Und sein alter Freund Adorno („Sonntag war ich mit teddys in Schwetzingen zum Spargel + Pflaumenkuchen essen“, schrieb Kramer 1956 an seine Frau) stand dem Funktionalismus des Architekten ebenso kritisch gegenüber wie Kramer dem spätbürgerlichen Philosophen ein tieferes Verständnis einrichtungsästhetischer Probleme absprach.
Siedlung Westhausen mit Ferdinand Kramer (1929) © Institut für Stadtgeschichte, Foto: Paul Wolff
Es ist Alexander Kluge, der im Katalog die menschliche Grundierung von Kramers Sachlichkeit herausstellt. Dass Kramer das aus der Kaiserzeit stammenden Schmuckportal des Jüngelhauses 1953 durch einen sachlichen Eingang mit Glasfront und schlanken Metallprofilen ersetzte, stieß nicht nur in den frühen Jahren auf Unverständnis und wurde allenfalls in seiner Repräsentationsfunktion akzeptiert: Kramers Neugestaltung symbolisiere demokratische Transparenz. Doch Kluge hebt darüber hinaus hervor, dass erst Kramers Umbau es erlaubte, dass mehrere Menschen gleichzeitig das Hauptgebäude der Universität betreten und verlassen konnten, anstatt sich in einem überhohen Dekorationselement im Wege zu stehen. Hier wird das demokratische Moment aus der Behauptung in die Ermöglichung gezogen: gebauter Gebrauchswert. Kramer begann die Neugestaltung des Campus mit einem Fernheizwerk für die frierenden Nachkriegsstudenten, integrierte Schlafgelegenheiten in seine Universitätsbibliothek und zeigte sich auf Fotos als eleganter und lebensfroher Mensch. Neusachliche Kühle? Ein Klischee.
Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie der Universität Frankfurt/Main (1957) © FERDINAND KRAMER ARCHIV, Foto: Paul Förster
Philosophisches Seminargebäude (Philosophicum) der Universität Frankfurt/Main (1959/60) © FERDINAND KRAMER ARCHIV, Foto: Ferdinand Kramer
Es ist gleichermaßen unfair, Kramers Werk nach Schwarzweißfotos, die man nicht bewohnen muss (er soll schief hängende Blätter von den einst weißen Universitätswänden abgenommen und gerade wieder aufgehängt haben) zu beurteilen wie den verwahrlosten Zustand, in denen sich viele seiner Bauten zuletzt befanden, als Ausgangspunkt der Bewertung zu wählen. Es genügt ein Blick auf das Wochenendhaus des Bankiers Albert von Metzler, das lokalen Sandstein aus dem Taunus verwendet, um zu begreifen, wie undogmatisch das Bauen dieses emphatischen Menschenfreundes war.
Wochenend- und Ferienhaus Albert von Metzler Arnoldshain/Taunus (1957) © FERDINAND KRAMER ARCHIV
Und es ist kein Zufall, dass Kramer, der im amerikanischen Exil auch Faltmöbel und Wegwerfregenschirme entwarf, gerade als Gestalter von Gebrauchsgegenständen wiederentdeckt wird. Die Aschenbecher, Schilder, Schirmständer und Tische, welche er für die Universität entwarf, sind auf den Punkt gestaltet.
© e15
Umso erfreulicher, dass die Einrichtungsfirma e15 eine Reihe von Kramers Objekten wieder aufgelegt hat. So sind beispielsweise seine 1954 entworfenen, ikonischen Garderobenhaken jetzt in einem hinreißenden Rot erhältlich.
© e15
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15. April 2016