Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Kaschmir. Eine kleine Stoffkunde

Kaschmir wärmt im Winter, ist ein mythisches Material der Mode und genießt den Ruf eines Luxus für den Alltag. Die Faser stammt vornehmlich aus der Mongolei und wird zwischen März und Juli aus der unteren Wollschicht der Kaschmirziege ausgekämmt. Die Tiere bilden ihr Fell in extremer Kälte aus, bei bis zu minus 40 Grad. Für die Produktion eines Pullovers benötigt man den Flaum von drei bis fünf Ziegen. Leicht, weich und beständig, gilt Kaschmir-Wolle als edel, exklusiv und Inbegriff guter Qualität. Aber nicht immer hält die Ware, was sie verspricht.

Die ganze Geschichte

Das britische Magazin The Economist bringt das Problem auf den Punkt:

„How can pure cashmere sweaters cost £500 on Bond Street but less than £50 at Marks & Spencer? The short answer is China. The long answer is that a label saying ‚100% cashmere‘ tells only 50% of the story.“

Die andere Hälfte der Geschichte besteht darin, dass die Wahl des prestigereichen Materials keine Garantie für dessen Qualität ist. Denn nur die dünnsten, längsten und hellsten Haare ergeben herausragende Stoffe. Dann ist Kaschmir anschmiegsam, nimmt Feuchtigkeit gut auf und wärmt besser als Schurwolle.

Kaschmir

Aber Kaschmir kann auch von minderer Güte sein, zum Beispiel wenn die Wolle nicht aus dem „Duvet“ genannten Flaumhaar, sondern aus dem gröberen Deckhaar stammt, unter der Behandlung mit chemischen Weichmachern gelitten hat oder ein Hersteller insgeheim härtere Fasern beimischt. Kim-Hô Phan, der 30 Jahre lang als Faseranalytiker beim Deutschen Wollforschungsinstitut in Aachen gearbeitet hat, berichtete gegenüber dem SZ-Magazin:

„Während meiner Zeit beim DWI waren im Schnitt 50 bis 60 Prozent der untersuchten Proben falsch deklariert. Statt der angegebenen 100 Prozent Kaschmir habe ich manchmal keine einzige Kaschmirfaser gefunden. Im Durchschnitt waren zehn bis 15 Prozent beigemischt. Je höher der Kaschmirpreis, desto mehr Fälschungen kursieren auf dem Markt.“

Weniger als die oftmals hervorgehobene Fadenzahl („two-ply“) zählt die in Micron gemessene Feinheit des Stoffes, die etwa 15 Micron betragen sollte. Baby Cashmere, die erste Kämmung acht bis zehn Monate alter Ziegen mit etwa 13 Micron Haarstärke, gilt als die beste Qualität. Werden zu kur​ze Fa​sern ein​ge​setzt bzw. wird das Garn nur lo​cker ge​dreht, kommt es zur Pilling genannten Knötchenbildung, wie die FAZ unter Berufung auf den Textiltechniker Phan berichtet.

Kaschmir Qualität

Versponnen, gefärbt und gewebt wird die hochwertige Rohware traditionellerweise in Schottland und Italien. Bekannte Marken auf den Britischen Inseln sind Begg & Co, Johnstons of Elgin und John Smedley, auf dem Kontinent Malo, Loro Piana und Brunello Cucinelli. In Deutschland ist Iris von Arnim mit hochwertigem Kaschmir bekannt geworden. Einen Ruf für respektable Ware am unteren Ende des Preisspektrums genießt die japanische Kette Uniqlo.

Bei Designermarken gleicht die Qualität einer Lotterie. Wer nicht enttäuscht werden will, muss wissen, woran man hochwertige Ware erkennt – und das fällt selbst Experten schwer. Gleichwohl tragen gerade die namhaften Modedesigner maßgeblich zum Mythos Kaschmir bei. Als beispielsweise Hedi Slimane bei Dior die Linie Cashmere & Corduroy auflegte, gelang ihm damit eine treffsichere Formel für Pariser Existenzialisten-Eleganz.

Die Qualität von Kaschmir

Am Beispiel Kaschmir zeigt sich, was auch für Champagner und andere Luxusgüter gilt: nicht die Kategorie ist entscheidend, sondern die Qualität innerhalb einer Kategorie. Eine gute Merinowolle ist schlechtem Kaschmir durchaus vorzuziehen. Und Fasern vom peruanischen Alpaca (einer Kamelart) sowie die Lamawolle Vicuna können selbst hochwertigen Kaschmir qualitativ übertreffen.

Worauf also sollte man als Kaschmir-Käufer achten? Der Economist gibt folgenden Rat:

„Look for tension in the knitting: stretch a section and it should ping back into shape. Hold it up to the light and you shouldn’t see much sky: paradoxically, the best cashmere, though made from the finest hair, has a density to it. Examine its surface: fluffiness suggests the yarn was spun from shorter, weaker fibres and will pill. Be sceptical about softness, too. Over-milling can make a garment too soft and silky, and therefore prone to bobbling and losing its shape. More expensive cashmere may be harder to handle in the shop, but will ease up with wear and hand-washing. The best cashmere actually improves with age–so long as the moths don’t get to it.“

Abbildungen: Round Icons*

11. Februar 2021