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Schreibmaschine und Jaguar. Max Frisch in Berlin

Aus dem Berliner Journal lautet der Titel lange gesperrter Tagebücher von Max Frisch, die heute im Suhrkamp Verlag erscheinen. Die veröffentlichte Auswahl umfasst die Jahre 1973 und 1974, als der Schweizer Schriftsteller in Berlin-Friedenau wohnte. Lesenswert sind die Aufzeichnungen nicht nur aus literatur- und zeitgeschichtlicher Sicht, sondern auch als Notate eines konsuminteressierten und konsumfreudigen Autors.

Max Frisch Berliner Journal

Max Frisch verdiente gut. „Kein Mangel an Geld, im Gegenteil“, notiert er gleich auf den ersten Seiten, und so wird die neue Wohnung auch nicht gemietet, sondern gekauft, obwohl er bereits zwei weitere besitzt. Von Anfang an spielen Genuss und gutes Leben in den Tagebuchnotizen eine Rolle:

„6.2.
Übernahme der Wohnung (Sarrazin Strasse 8) und Abend bei Grass. Nieren.“

Keine Auskunft über die Gespräche der beiden Pfeifenraucher – aber die Speise wird festgehalten. Grass ist es auch, der seinen Kollegen auf dem Wochenmarkt einführt und ihm „Fischkunde“ erteilt. Zum Einzug werden Möbel und Küchengeräte angeschafft; „Ferner braucht man Kleiderbügel [und] einen Lamellen-Vorhang wegen Morgensonne auf dem ganzen Arbeitstisch.“

Der Autor leidet am Alkohol und mag doch nicht von ihm lassen. Als ihn sein Ostberliner Verleger in Zürich besucht, treffen nicht nur Möglichkeiten, sondern auch Einstellungen aufeinander:

„Trotz der Akten, die Herr Gruner sogleich auf den Tisch gelegt hat, habe ich mir gestattet, eine Flasche zu bestellen, Dôle, bitte nicht zu missverstehen als dreiste Demonstration unseres Wohllebens im Westen. (…)
Aber es bleibt eine Spur von Ängstlichkeit, zumindest eine stete Vorsicht, als horche eine Instanz, die sehr empfindlich ist; auch die Kümmernis, provinziell zu sein. Bitte kein Nachtisch; eine Dienstreise ist keine Schlemmerreise.“

Andererseits erlebt Frisch die DDR nicht nur als grau und bieder. Bei einem Besuch Jurek Beckers in Ostberlin interessieren ihn sogleich dessen Privilegien:

„Ohne Besichtigung zu betreiben, nimmt man einen Standard wahr, der für einen freien Schriftsteller Mitte Dreissig ungewöhnlich ist, im Westen kaum anzutreffen; es ist alles da. Obschon unser Telegramm erst vor einer Stunde eingetroffen ist, ein festliches Abendessen; auch französischer Cognac. (…) J.B. geht es gut. Sie demonstrieren nicht ihr privates Wohlergehen, aber verhehlen auch nicht, dass es schön ist, allerlei schöne Dinge zu haben.“

Auch Günter Kunerts Verhältnis zu käuflichen Dingen ist ihm einen Eintrag wert:

„Beiläufig in den Gesprächen und Erzählungen, aber evident: ihr positives und wieder unschuldiges Verhältnis zum Besitz, ihr Interesse daran, ihre Freude an Anschaffungen schöner Sachen oder lustiger Sachen, unnötiger Sachen; lebhafter als bei uns (bei Menschen des gleichen Berufsstandes) das Bedürfnis nach dem Exquisiten. Ist es vorhanden, so erscheint es aber nicht als Status-Symbol; es manifestiert das Individuum.“

Und nach einem Treffen mit Christa und Gerhard Wolf notiert er:

„Schade nur, dass es hier keine Kneipen gibt, dann geht es immer in ein Hotel-Restaurant mit Pseudo-Eleganz, mit Kantine-Bedienung, mit mässigen Gala-Speisen“

Frisch‘ Betrachtungen beschränken sich nicht auf die Beobachtung und Einordnung des Konsumniveaus hinter dem Eisernen Vorhang. In seinen tagebuchtypischen Selbstbeobachtungen macht er sich auch Gedanken über den Zusammenhang von Wohlstand und gesellschaftlichem Gewissen:

„Eine lange Zeit meines Lebens, als ich nicht hungerte, aber ziemlich mittellos war, etwa so mittellos wie die grosse Mehrheit, interessierte mich die Gesellschaft überhaupt nicht, die Politik, die Utopie; mein soziales Engagement begann schleichend wie mein Wohlstand“

So zeigen die Berliner Aufzeichnungen einen Autor, der den Annehmlichkeiten des Lebens sowohl genießend als auch beobachtend und reflektierend zugewandt ist. Wiewohl ihn die schönen Dinge beschäftigen, wird zugleich deutlich, was für den Literaten am Ende des Tages zählt:

„Ich habe schon öfter geträumt, dass der JAGUAR (Anschaffungspreis: 31.000 Franken) gestohlen worden ist, noch nie geträumt, dass etwa die Schreibmaschine gestohlen worden ist. Dabei wäre ich ohne Schreibmaschine in einer wirklichen Verlegenheit.“

Max Frisch: Aus dem Berliner Journal. Suhrkamp Verlag 2014. 235 Seiten. 20 Euro.

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20. Januar 2014