Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Ick sitze hier und esse Klops. Tim Raues La Soupe Populaire

In Tim Raues Lokal La Soupe Populaire findet Berlin kulinarisch zu sich selbst.

Die Altberliner Dichtung hebt an mit einem Bekenntnis:

„Ick sitze hier und esse Klops.“

Königsberger Klopse mit roter Beete und Kartoffelpüree (19 Euro) sind das heimliche Hauptgericht von Tim Raues 2013 eröffneter ‚Volksküche‘ La Soupe Populaire. Auch Barack Obama soll sie bei seinem Deutschlandbesuch gegessen haben. Raues raffiniertes Rezept ist kein Geheimnis; man kann es im Internet nachlesen. Der Clou: ein mit feinen Stückchen von gekochter Kalbszunge, -kopfmaske und -bries angereichertes Hackfleisch, das in einem mit Rieslingauslese erstklassiger Provenienz verfeinerten Sud zubereitet wird. Das Ergebnis hat – in den Worten von Jürgen Dollase – „Substanz und Tiefgang“, da es immer neue Geschmacksnuancen freisetzt und doch stets wie Königsberger Klopse schmeckt.

La Soupe Populaire

Es ist ein weiter Weg, der von der feinen Taubenbrust, die Tim Raue als junger Mann im E.T.A. Hoffmann servierte, über seine mehr als 50 Zutaten in eine hochkomplexe Struktur bringenden „Gourmetvisionen“ im Swissôtel 44 und die zweifachbesternte Asienküche in Kreuzberg zu diesem Lokal führt, wo die Gerichte lakonisch „Kohlroulade“ oder „Blumenkohl polnisch“ heißen. Doch steckt darin auch schon die Botschaft: Es gibt nichts, das man nicht verfeinern könnte. Zum Beispiel ein Senfei, das als „Senfei TR“ mit Saiblingskaviar und scharf-süßem Schaum an Raffinesse gewinnt (11 Euro). Die Reichweite des Regionalen auszuloten, darin besteht die Ambition dieses Lokals, und Tim Raue, der aus schwierigen Kreuzberger Verhältnissen stammende Spitzenkoch, kann dieses Konzept wie kein anderer verkörpern.

„Uff eenmal klopps.“

Was in mehrere Richtungen interpretiert werden kann: beispielsweise als das Klappern des „Gedecks“, das mit symbolischen 2 Euro in Rechnung gestellt wird. Symbolisch, weil es aus einem hochwertigen „Stullenbrett“ mit warmem Brot, Schmalz und Röstzwiebeln, Spreewaldgurken und Landjägern besteht. Alles schmeckt wunderbar aromatisch, ohne den Gaumen zu sehr mit dominierenden Aromen in Beschlag zu nehmen, die den Genuss weiterer Gänge überlagern könnten. Oder man liest die Zeile als das Wackeln des betont gebrauchten Mobiliars, auf dem die Gäste auch ihre Mäntel abgelegen. Anscheinend gibt es keine Garderobe.

„Ick kieke, staune, wundre mir,/ uff eenmal jeht se uff, de Tür.“

Womit wir beim Ambiente wären. Während im Kreuzberger Sternerestaurant ein Gemälde mit Müllsack-Motiv im Gastraum provoziert, zeigt sich „auf Bötzow“, wie das ehemalige Brauereigelände genannt wird, auf dem sich das Lokal befindet, eine andere Facette Berlins: der Gentrifizierungsschick des Loft-Living rahmt die vermeintliche Volksküche. Verrosteter und unbehandelter kann ein postindustrieller Komplex kaum belassen werden. Als künstlerisches Statement hat man sich tatsächlich für Fotografien von Otto Waalkes‘ Ex-Frau Eva Hassmann entschieden. Kurzum: es fällt schwer, den hier verwirklichten Immobilienentwicklergeschmack nicht einigermaßen lächerlich zu finden.

„Nanu, denk ick, ick denk, nanu!
jetzt is se uff, erst war se zu.“

Bleibt der Eindruck, dass Berlin kulinarisch endlich auf beeindruckendem Niveau zu sich selber findet – um den Preis der Gentrifikation. So können Besucher in Raues La Soupe Populaire den gegenwärtigen Wandel der Stadt erfahren. Und die Bewohner den Stand ihrer eigenen Dinge erkennen:

„Ick jehe raus und kieke,
und wer steht draußen? – Icke!“

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16. Januar 2015