Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Verzögerungen im Betriebsablauf. Über Bahnverspätungen

Ich wollte es wissen und protokollierte einen Monat lang penibel alle Bahnverspätungen, für die ich von der Deutschen Bahn um „Verständnis“ gebeten wurde. Insgesamt 26 Züge habe ich im Januar 2016 benutzt und notiert, mit welcher Verzögerung diese an den Zielbahnhöfen eintrafen.

Es war ein guter Monat, trotz der winterlichen Jahreszeit. Keine stundenlangen Verspätungen, nicht einmal verpasste Anschlüsse. Das Ergebnis fiel dennoch deprimierend aus: Von den 26 Zügen waren nur 4 pünktlich. Das sind gut 15 Prozent. Vom Vorzeigeprodukt ICE, das wir 11 Mal benutzten, kam kein einziger (!) pünktlich an. Insgesamt betrug die Summe der Verspätungen 145 Minuten, also knapp zweieinhalb Stunden. Hier die detaillierte Auflistung:

03.01.16, IC: Keine Verspätung
03.01.16, RE: 16 Minuten Verspätung
06.01.16, RB: Keine Verspätung
06.01.16, RB: 5 Minuten Verspätung
07.01.16, ICE: 1 Minute Verspätung
07.01.16, ICE: 4 Minuten Verspätung
13.01.16, RE: 4 Minuten Verspätung
13.01.16, ICE: 18 Minuten Verspätung
14.01.16, RE: 3 Minuten Verspätung
14.01.16, ICE: 11 Minuten Verspätung
14.01.16, S-Bahn: 7 Minuten Verspätung
18.01.16, RE: 5 Minuten Verspätung
18.01.16, RE: 2 Minuten Verspätung
20.01.16, RE: 4 Minuten Verspätung
20.01.16, ICE: 1 Minute Verspätung
21.01.16, S-Bahn: Keine Verspätung
21.01.16, ICE: 26 Minuten Verspätung
21.01.16, S-Bahn: 1 Minute Verspätung
23.01.16, RB: 1 Minute Verspätung
26.01.16, S-Bahn: Keine Verspätung
26.01.16, ICE: 20 Minuten Verspätung
28.01.16, ICE: 2 Minuten Verspätung
28.01.16, ICE: 6 Minuten Verspätung
30.01.16, ICE: 6 Minuten Verspätung
30.01.16, ICE: 1 Minute Verspätung
30.01.16, S-Bahn: 1 Minute Verspätung

Das Zermürbende an den Verspätungen sind weniger die oft vernachlässigenswerten Minuten (welcher Autofahrer kommt schon ‚pünktlich‘ an), auch wenn sich aufs Jahr (29 Stunden!) oder gar auf die Lebenszeit hochgerechnet eine deprimierende Summe ergeben dürfte. Das Zermürbende an den Verzögerungen ist die Gewissheit, dass man sich auf die Bahn nicht verlassen kann. Dass wir es offensichtlich mit einem Infrastrukturproblem zu tun haben und kaum je mit individuellem Versagen. Kein Management kann gegen Unwetter oder den sprichwörtlichen „Notarzteinsatz am Gleis“ etwas ausrichten. Aber wenn vorausliegende Streckenabschnitte immer wieder belegt oder nur einseitig befahrbar sind und Signal- und Weichenstörungen an der Tagesordnung, wenn Züge verspätet und mit geänderter Wagenreihung bereitgestellt werden und diese dann auch noch geschlossene Bistros, defekte Toiletten, disfunktionale Klimatisierung, fehlende Reservierungsanzeigen, wackliges W-Lan und verdreckte Kinderabteile aufweisen, kann man die aktuelle „Diese Zeit gehört Dir“-Kampagne der Bahn nur noch als einen ans Zynische grenzenden Versuch werten, aus der Not eine Tugend zu machen.

Bahnverspätungen

Denn diese Zeit gehört dem Fahrgast eben nicht, wenn er auf durchkommerzialisierten „Erlebniswelten mit Gleisanschluss“ herumzutrödeln gezwungen ist und seine Reisen nicht mehr verlässlich planen kann. Wenn durchgesagte Ankunftszeiten sich schon beim bloßen Blick auf die Uhr als falsch erweisen und wolkige Begründungen („Grund dafür ist eine Verspätung“) gegeben werden. Wenn das Personal am nächtlichen Gleis (so denn überhaupt welches da ist) selbst überfragt ist, wohin der bereitgestellte Zug nach mehrfachem Gleiswechsel denn nun eigentlich fährt. Wenn das einzige, das einwandfrei zu funktionieren scheint, das digitale Angebot ist.

Von der einst so vorzeigbaren Bahn bleiben Software, resignative Kulanz der Mitarbeiter und strukturellem Versagen ausgelieferte, „Fahrgast“ genannte Kunden. Es ist jämmerlich.

Abbildung: Wikimedia Commons

5. Februar 2016