Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Wortwörtlich (136): Filterblasen

Zu den wenigen Befunden, die den desaströsen Ausgang der us-amerikanischen Präsidentschaftswahl erklären helfen, gehört die Einsicht, dass nicht nur rechte Wähler in einer ‚postfaktischen‘ Filterblase ‚Informationen‘ beziehen, sondern auch die Linke den Kontakt zu weiten Teilen der Wirklichkeit verloren hat. Wer sich in dieser Situation eine erste Orientierung verschaffen will, lese David Remnicks langen Artikel im New Yorker. Der Schriftsteller Ralph Martin hingegen hat die verstörende Widersprüchlichkeit der Lage in einer kurzen Anekdote verdichtet:

„Im Jahr 2008 hat meine Schwester Wahlkampf für Obama gemacht. Sie klopfte an Türen im südöstlichen Ohio, in einer fast rein weißen Gegend, wo Waffengeschäfte und Bars das Bild vieler Städte prägen. An einem besonders heruntergekommenen Haus öffnete ihr eine Frau die Tür, sie hatte ein frisches blaues Auge. Wen sie denn vorhabe zu wählen, fragte meine Schwester eingeschüchtert. Wen wählen wir?, brüllte die Frau über ihre Schulter hinweg. Aus der Dunkelheit hinter ihr antwortete eine männliche Stimme: Wir wählen den Nigger!

Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 20. November 2016, S. 47.

21. November 2016