Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Wortwörtlich (138): Die Dinge

Die marxistische Linke in Frankreich zeichnete sich in der Nachkriegszeit durch ein besonderes Interesse an den Dingen des Alltags aus. Der Philosoph Henri Lefebvre veröffentlichte bereits Ende der 40er Jahre den ersten Band seiner Kritik des Alltagslebens, Roland Barthes schrieb in den fünfziger Jahren seine legendären Mythen des Alltags, und Jean Baudrillard debütierte in den Sechzigern mit dem System der Dinge. In diesen Zusammenhang gehört auch Georges Perecs 1965 erschienener Debütroman Die Dinge. Im diaphanes Verlag erschien kürzlich eine Neuausgabe der Übersetzung von Eugen Helmlé. Bei aller Unterschiedlichkeit der Moden und fernab marxistischer Hoffnungen ist das Buch dank einer Fülle treffender Beschreibungen bis heute lesenswert geblieben:

„Sie waren stolz, wenn sie für etwas weniger bezahlt, es umsonst oder fast umsonst bekommen hatten. Noch stolzer waren sie (aber ein zu teures Vergnügen bezahlt zu haben, bezahlt man immer ein wenig zu teuer), wenn sie, ohne zu feilschen, auf einen Schlag, fast trunken, sehr viel, äußerst viel für etwas bezahlt hatten, das dann nur das Schönste, das Vollkommene sein konnte. Diese Scham und dieser Stolz hatten ein und dieselbe Bedeutung, trugen dieselbe Enttäuschung in sich, dieselbe Gehässigkeit. Da alles um sie herum es ihnen klar machte, Werbesprüche, Plakate, Neonreklamen, hell erleuchtete Schaufenster es ihnen den ganzen Tag lang einhämmerten, begriffen sie, dass sie immer ein klein wenig tiefer auf der Leiter standen, immer ein klein wenig zu tief. Dabei hatten sie noch das Glück, weit von denen entfernt zu sein, die es am schlechtesten getroffen hatten.“

Quelle: Georges Perec: Die Dinge. Eine Geschichte der sechziger Jahre. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Zürich-Berlin: Diaphanes 2016, S. 38.

5. Dezember 2016