Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Wortwörtlich (5): Bibliotheken, alternativlos

Wer Bücher liebt, kauft mehr davon als man lesen kann und behält sie selbst dann, wenn die Lektüre enttäuschte. Immer fehlt es an Platz, jeder Umzug zeugt vom kostspieligen Gewicht einer großen Bibliothek. Gibt es eine Alternative? Natürlich nicht. Elias Canetti erklärt, warum:

„Als ich kein Geld hatte, in Wien, gab ich alles, was ich nicht hatte, für Bücher aus. In London, in der schlimmsten Zeit, gelang es mir irgendwie immer noch von Zeit zu Zeit Bücher zu kaufen. Ich habe nie systematisch etwas gelernt, wie andere Leute, sondern nur in plötzlichen Aufregungen. Sie begannen immer damit, daß mein Blick auf etwas fiel, das ich dann haben mußte. Die Geste des Ergreifens, die Freude am Hinauswerfen von Geld, das nach Hause oder in das nächste Lokal Tragen, das Betrachten, das Streicheln, das Blättern, das Wegstellen für Jahre, die Zeit neuer Entdeckung dann, wenn’s ernst wurde – alles das ist Teil eines schöpferischen Prozesses, dessen verborgene Einzelheiten ich nicht kenne. Aber anders geschieht bei mir nichts, und so werde ich bis zum letzten Augenblick meines Lebens Bücher kaufen müssen, besonders wenn ich ganz sicher weiß, daß ich sie nie mehr lesen werde.“

Quelle: Elias Canetti: Das Buch gegen den Tod. München: Hanser Verlag 2014, S. 157. 24,90 Euro.

5. Mai 2014