Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Wortwörtlich (70): Gaudi

Zu den Höhepunkten von Eugen Ruges Reisenotizen zählt seine vernichtende Kritik der Architektur Antoni Gaudís in Barcelona. Dessen biomorphe Bauweise erledigt der Autor mit wenigen, ganze Bücher ersetzenden Zeilen, indem er die konstruktive Widersprüchlichkeit und das Dekorhafte der Gebäude entlarvt:

„Nun, von der Natur hat der Mensch seit jeher gelernt, hat Formen und Ingenieurslösungen abgeschaut. Aber warum Häuser aussehen sollen wie Obst und Gemüse, bleibt mir rätselhaft. Obendrein trägt die Kathedrale in Wirklichkeit kaum ‚organische‘ Züge, wenn man von den Stauden- und Fruchtimitationen auf den Spitzen der Türme und Türmchen absieht. (…) Das Bauwerk hat in Anlage und Erscheinung einen typisch mittelalterlich-kathedralen Charakter, nur dass ihm die Würde fehlt. Bunte Klunker kleben an den Säulen. Christus unter einem albernen Schirm. Eine Mischung aus Mittelalter und Märchenwald. (…) So sollte man weder bauen noch schreiben.“

Quelle: Eugen Ruge: Annäherung. Notizen aus 14 Ländern. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2015, S. 90.

17. August 2015