Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Wortwörtlich (86): Fischwaren

Heute erscheint Durs Grünbeins autobiografisches Dresden-Buch Die Jahre im Zoo. Wer kein Interesse an Kindheit und Jugend des Dichters hat und die politische Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert nicht erneut ergründen möchte, findet in diesem Buch gleichwohl ein ergiebige Lektüre. Denn Grünbein richtet sein Augenmerk vor allem auf die Gartenstadt Hellerau mit ihren lebensreformerischen Utopien und literarischen Existenzen. Es ist der Blick auf den Alltag, der die Stärke des Buches ausmacht, etwa dann, wenn der Autor im Kapitel „Fischwaren“ beschreibt, wie er bei einem Besuch im Stralsunder Meereskundemuseum den Fischkonservendosen seiner DDR-Kindheit wiederbegegnet:

„Ich sah die erbarmungswürdige Produktpalette planwirtschaftlicher Fischverarbeitung, dies karge Sortiment, das als Ersatz herhalten mußte für den Reichtum unerreichbaren Meereslebens. Ersatz – ein Wort, das in das Deutsche einzog, als die Weltmarktprodukte knapp wurden im Hitlerkrieg und das noch lange darüber hinaus in der abgeschotteten Hälfte des Landes Praxis blieb. Es gab Ersatzstoffe aller Art: Ersatz-Kaffee, Schokoladen-Ersatz, Ersatz-Fisch. In diesem Museum war die Substanz eines ganzen Landes und seiner untergegangenen Eßkultur aufbewahrt.“

Quelle: Durs Grünbein: Die Jahre im Zoo. Ein Kaleidoskop. Berlin: Suhrkamp Verlag 2015, S. 28f.

7. Dezember 2015