Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Peace, ein perfektes Produkt für 2,99 Euro

Marco Arment ist einer der klarsichtigsten Beobachter der Digitalisierung und zugleich einer der besten Softwareentwickler der Welt. Er hat Tumblr maßgeblich mitentwickelt, Instapaper gegründet und das digitale Journal The Magazine ins Leben gerufen. Auf seinem Blog finden sich einige der überzeugendsten Texte über das Netz. Jetzt hat Arment eine neue App auf den Markt gebracht, die seine ganze Brillanz vereint – einen Anzeigenblocker für Apples mobile Endgeräte. Keine neue Kategorie also, wenngleich eine, die erst seit der gestern veröffentlichten Version 9 des Betriebssystems iOS erlaubt ist. Arments Ad-Blocker sticht unter der Fülle der Angebote hervor. Denn:

Arment hat seine App pathetisch Peace genannt, denn ihr Zweck bestehe darin, „peace, quiet, privacy, and – as a nice side benefit – ludicrous speed to iOS web browsing“ zu bringen. Der große Name wäre gar nicht nötig gewesen, denn die Vorzüge bestechen auch in Prosa.

„You’ll reclaim a good deal of privacy, cellular data, and battery power, and you won’t believe how fast iOS web browsing can be.“

Kulturell interessant ist die Anwendung auf doppelte Weise. Zum einen steht sie paradigmatisch für einen Wirtschaftstyp, bei dem ein Einzelner unter Rückgriff auf ein Netzwerk ein handwerklich gutes und nutzbringendes Produkt anbietet, das für kleines Geld (hier: 2,99 Euro) abgegeben wird, ihm aber durch den long tail ein gutes Auskommen beschert. Keine Monopolisierungslogik, keine krummen Monetarisierungsmodelle. Zum anderen – und das ist die eigentliche Pointe – positioniert sich Arment mit seiner App im Kapitalismus gegen eine bestimmte Form von Kapitalismus und legt die Wahl in die Hände der Konsumenten. Brillant!

Update 19. September 2015

Zwei Tage nach der Veröffentlichung hat Marco Arment seinen Ad-Blocker Peace zurückgezogen. Die Anwendung, für 36 Stunden die meistverkaufte im U.S.-App-Store, wird nicht weiter angeboten, und es wird auch keine Updates geben. Auf seinem Blog entschuldigt sich Arment für seinen Schritt und begründet ihn:

„Achieving this much success with Peace just doesn’t feel good, which I didn’t anticipate, but probably should have. Ad blockers come with an important asterisk: while they do benefit a ton of people in major ways, they also hurt some, including many who don’t deserve the hit.“

Die Software, argumentiert er, werde der Komplexität der Thematik nicht gerecht; eine differenzierter Zugang sei vonnöten. Wie es scheint, hat Arment Angst vor der eigenen Courage bekommen:

„I’m just not built for this business.“

Wie schade! Denn die App ermöglichte es ihren Nutzern auch, über eine Whitelist für diejenigen Websites Ausnahmen zu machen, bei denen es ethisch oder ästhetisch geboten scheint. Beobachter gehen unterdessen davon aus, dass die enorme Popularität von Blockierprogrammen zu einem Umdenken bei Werbetreibenden führen wird: Online-Werbung muss weniger aufdringlich werden, will sie nicht an der wachsenden Nutzerablehnung scheitern. Bessere Anzeigenformate und ein verstärktes Nachdenken über andere Geschäftsmodelle wären eine willkommene Konsequenz des Aufschwungs der Ad-Blocker.

John Gruber:

„Are we fighting ads, or are we fighting garbage?“

18. September 2015