Der Blog von Dirk Hohnsträter
Newsletter

Ausweitung der Anzeigenzone: Native Advertising

Am 19. Dezember 2013 begannt die 1896 gegründete New York Times damit, Native Advertising oder Paid Posts auf Ihrer Website zuzulassen. Sie akzeptiert damit Anzeigeninhalte, die von der Glaubwürdigkeit der journalistischen Inhalte profitieren sollen und stärker als bislang mit ihnen verquickt werden.

In Sydney Pollacks großartigem Thriller Three Days of the Condor überlebt der von Robert Redford gespielte CIA-Agent Joseph Turner durch Zufall einen Anschlag auf seine Abteilung. Turner versucht, die Hintergründe aufzuklären und findet heraus, dass das Attentat von einem hohen CIA-Mitarbeiter veranlasst wurde, weil dieser die Arbeit von Turners Einheit als Gefahr für Invasions-Planspiele der USA ansah. In Lebensgefahr und nicht mehr sicher, wem er noch trauen kann, übergibt Turner in der Schlussszene seine Story der New York Times.

Das war 1975.

Achtunddreißig Jahre später, am 19. Dezember 2013, berichtete Margaret Sullivan, die für „matters of journalistic integrity“ zuständige Public Editor des Blattes, dass die Website der Times künftig Native Advertising anbieten werde. Native Advertising ist eine Form der Werbung, bei der die Gestaltung werblicher Inhalte der Form redaktioneller Inhalte so stark wie möglich angeglichen wird. Die Times, versicherten die Verantwortlichen sogleich, wolle durch „labeling, design differences and disclaimers“ Verwechslungen zwischen redaktionellen Inhalten und dem Native Advertising ausschließen. Warum, fragt man sich, führt sie die neue Werbeform dann überhaupt ein? Die Rede ist von einer „delicate balance“, die für notwendige Einnahmen sorge, aber die Glaubwürdigkeit der 1896 gegründeten Zeitung nicht gefährde. Der unabhängige Blogger Andrew Sullivan hingegen, der sich mit dem Thema Native Advertising seit einiger Zeit intensiv auseinandersetzt, sieht es anders, nämlich als Dammbruch. Mit Blick auf den ersten Kunden der neuen Anzeigenform – Dell Inc. – adressiert Sullivan den Herausgeber der Zeitung:

„the NYT is opening its elegant blue-stocking legs as wide as it decently can to accommodate a computer company (…) We are all in public relations now. Thanks, Mr Sulzberger.“

Wirft man einen Blick auf die ersten, vorgestern veröffentlichten Paid Posts, wie die Times sie nennt, ergibt sich ein ambivalentes Bild. Auf den ersten Blick sind die bezahlten Inhalte deutlich zu identifizieren: durch das Firmenlogo, einen Farbrahmen, eine andere Type sowie Disclaimer wie „PAID FOR AND POSTED BY DELL“ oder „This page was produced by the Advertising Department of The New York Times in collaboration with Dell. The news and editorial staffs of The New York Times had no role in its preparation“ Auf den zweiten Blick wird die Sache allerdings uneindeutiger: unter der Überschrift „SELECTED BY DELL“ werden Artikel aus dem Archiv der Zeitung verlinkt; unter der Überschrift „Around the Web“ finden sich Links zu Artikeln außerhalb der New York Times, bei denen nicht auszumachen ist, ob sie auf kommerzielle Inhalte verweisen. So mögen zwar die Paid Posts selbst als kommerzieller Inhalt erkennbar sein, ihre Verlinkungen jedoch verlieren sich bereits im Zwielicht des Ununterscheidbaren. Zudem kann ein Ad-Blocker die Artikel im Gegensatz zu herkömmlichen Anzeigen nicht herausfiltern.

New York Times Native Advertising

Unter dem Strich bleibt ein ungutes, ja: ein trauriges Gefühl zurück. Eine der besten und wichtigsten Zeitungen der Welt, stolzes Symbol der Pressefreiheit, macht ihren Kern parasitärer Nutzung zugänglich. Parasitär, weil die Anzeigeninhalte von der Glaubwürdigkeit der journalistischen Inhalte profitieren sollen und stärker als bislang mit ihnen verquickt werden. Wenn die Leser nicht für Inhalte bezahlen wollen, so die nüchterne Botschaft, müssen sie von Anzeigenkunden bezahlte Inhalte lesen. Ein Entkommen gibt es auch für Abonnenten nicht.

„Reading is believing“, lautet einer der Slogans, mit dem die Zeitung für ihr vor wenigen Tagen vorgestelltes Re-Design wirbt. Wie aber soll man sich entspannt zurücklehnen und das lesefreundliche Layout genießen, wenn man stets auf der Hut sein muss, kommerziellen „Content“ untergejubelt zu bekommen? Die Linien zwischen unabhängigem Journalismus und interessegeleiteten Inhalten beginnen zu verschwimmen, auch bei der New York Times.

Auf dem Spiel steht das Vertrauen in die Zeitung. Denn so, wie die Integrität der journalistischen Inhalte auf die kommerziellen Artikel abstrahlen soll, kann umgekehrt der Verdacht, den man den Paid Posts entgegenbringt, in den redaktionellen Teil einsickern. Wie unabhängig wird das Blatt bleiben, wenn die Ausweitung der Anzeigenzone immer tiefer in das Innerste der Zeitung voranschreitet?

Am Ende von Pollacks Film übergibt Turner seine Enthüllungen der New York Times. Als er seinem Ex-Chef Higgins davon erzählt, entspinnt sich folgender Schlussdialog:

HIGGINS
Hey Turner! How do you know they’ll print it?
TURNER
They’ll print it.
HIGGINS
How do you know?

Abbildung: Ergebnis der Suchanfrage „Dell“ auf der Website der New York Times vom 10. Januar 2014, ’sorted by relevance‘

Warum sich ein Abonnement der Times dennoch lohnt, lesen Sie hier.

10. Januar 2014