Punktebewertungen. Ein Argument dafür, drei dagegen
Ob Parker-Punkte, Sterne im Guide Michelin oder Bewertungsapps: in der Welt des Kulinarischen spielen Quantifizierungen eine große Rolle, die sich nicht zuletzt auf den ökonomischen Erfolg von Weingütern und Restaurants auswirken. Aber welchen Sinn hat es, Genuss in Zahlen zu übersetzen? Eine kurze Betrachtung über Punktebewertungen mit einem guten Grund dafür und drei besseren dagegen.
Punktebewertungen in der Kontroverse
Wir leben in einer „Bewertungsgesellschaft“, die immer mehr Bereiche einem „Kult der Zahl“ unterwirft, sagt der Soziologe Steffen Mau. Auch der Bereich des Kulinarischen ist davon nicht ausgenommen. Ob Sterne, Hauben oder Pfannen: auf zahlreichen Skalen werden Genusserfahrungen Punktebewertungen unterzogen. Wie sinnvoll dies beim Wein ist, war 2016 Gegenstand einer kleinen Kontroverse zwischen dem Bremer Händler Heiner Lobenberg und dem Münchener Journalisten Jens Priewe.
Lobenbergs zentrales Argument lautete, dass Punkte Orientierung bieten, solange die Tester verlässlich sind. Zugleich plädierte er dafür, Wein weniger mit „Kopf und Verstand“ als mit „Herz und Bauch“ zu verkosten. Priewe erwiderte, Punkte hätten lediglich einen Unterhaltungswert, im Übrigen seien sie „schwachsinnig und irreführend“. Weinkritik erfordere Hintergrundwissen, Vergleichserfahrung und Kenntnis der „Benchmarkweine“. Zwischen geschmacklichen Vorlieben und Qualitätsurteilen bestehe ein Unterschied. Lobenberg attestierte er
„dass Du in Wirklichkeit ein Koordinatensystem im Kopf hast, mit dem Du an die Weine herangehst und sie einordnest. Es ist Dir wahrscheinlich schon so weit in Fleisch und Blut übergegangen, dass Du meinst, es sei Bauchgefühl.“
Drei Gründe gegen die Quantifizierung
Lobenbergs Argument, dass Punkte eine grobe Orientierung, eine gewisse Vergleichbarkeit herstellen, solange die Tester sich durch konsistente Bewertungen auszeichnen, leuchtet ein. Gleichwohl ist Priewe darin zuzustimmen, dass jeder Bewerter eine internalisierte Herangehensweise hat und Weinkritik nur dann sinnvoll ist, wenn sie mehr leistet als die subjektive Begeisterung eines Testers in Punkte zu packen.
Problematisch sind Punktbewertungen meiner Ansicht nach aus drei Gründen:
- Sie fördern eher die Prestige- als die Genusskultur. Wer stets hochbepunktete Weine trinkt, kann damit vielleicht Unkundige beeindrucken, setzt sich aber nicht wirklich mit Wein auseinander, denn er folgt nur dem Geschmack des Testers, anstatt in unterschiedlichen Trinksituationen die jeweils passenden Weine zu genießen und Interessantes außerhalb der bepunkteten Welt zu entdecken.
- Rankings werden der Vielfalt kulinarischer Erfahrungen nicht gerecht, wie Julien Walther auf seinem Blog Trois Etoiles zu Recht hervorhebt. Sie überführen Qualitäten in Quantität und sind gezwungen, einen gemeinsamen Nenner für eine Fülle von Aspekten zu finden. Auf diese Weise wird der Charakter einer Weinregion oder der Stil eines Restaurants nicht wiedergegeben.
- Zahlen leisten der Spracharmut Vorschub, anstatt die Verständigung über Qualitäten voranzubringen. Sie sind einfach der falsche Code für etwas so Nuancenreiches wie das kulinarische Erleben, bei dem alle Sinne zum Einsatz kommen, sich komplexe Geschmacksbilder einstellen und bisweilen unvergessliche Eindrücke ergeben.
Wer sich selbst genießend auf die Suche macht, anstatt lediglich Punktbewertungen zu folgen, kann übrigens auch ökonomisch gewinnen: zum Beispiel, wenn man zugibt, dass einem das bisweilen Überdrehte eines Dreisternelokals gar nicht gefällt oder indem man großartige Weine entdeckt, bevor deren Preise durch Ratings und Rankings durch die Decke gehen.
Abbildung: Round Icons*
11. März 2021