Der Blog von Dirk Hohnsträter
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„I’ve never seen such – such beautiful shirts before.“

Zu den bekanntesten Szenen aus F. Scott Fitzgeralds emblematischem Roman The Great Gatsby von 1925 gehört jene, in der der Protagonist die Frau seines Lebens zu beeindrucken versucht, indem er mit kostbaren Hemden um sich wirft. Wie wurde diese Szene verfilmt und welche Deutungen legen die unterschiedlichen Fassungen nahe?

Als eine „literarische Vorwegnahme des Werbefernsehens“ hat Paul Ingendaay die berühmte Passage bezeichnet, welche im Buch gerade einmal eine halbe Seite einnimmt. „I’ve got a man in England who buys me clothes“, streicht Gatsby seinen europäischen Geschmack heraus. Dann folgt der warenästhetische Rausch:

„He took out a pile of shirts and began throwing them, one by one, before us, shirts of sheer linen and thick silk and fine flannel, which lost their folds as they fell and covered the table in many coloured disarray. While we admired he brought more and the soft rich heap mounted higher – shirts with stripes and scrolls and plaids in coral and apple-green and lavender and faint orange, with monograms of indian blue.“

Daisy, die Angebetete, bricht in Tränen aus und schluchzt in den Stoff: „It makes me sad because I’ve never seen such – such beautiful shirts before.“

In der Verfilmung mit Robert Redford und Mia Farrow aus dem Jahr 1974, bei der Jack Clayton die Regie führte, bekommt die Szene durch Product Placement einen markenfetischistischen Dreh. Deutlich sichtbar sind die Schachteln der britischen Traditionsfirma Turnbull & Asser (obwohl Ralph Lauren für das Kostümdesign zuständig war). Die Szene veranschaulicht demonstrativen Konsum in Reinform: in Gatsbys Imponiergehabe drückt sich neues Geld aus, das prompt den gewünschten Überwältigungseffekt erzielt.

So weit, so klar. Doch im Vergleich mit Baz Luhrmanns Variante aus dem Jahr 2013 wirkt die Szene geradezu konsumkritisch. Und das, obwohl Luhrmann sie durch den Verzicht auf Markennennung vordergründig entkommodifiziert (im Abspann, aber nicht in der Szene, tauchen Brooks Brothers und J Crew auf, beides amerikanische Marken; Abendgarderobe designte das italienische Modehaus Prada).

Gatsby Hemd

Worin liegen die Unterschiede zwischen den Gatsby-Filmen?

Zunächst einmal ist Luhrmanns Film ungleich opulenter ausgestattet. Der verspiegelte Schrank aus Claytons Fassung, in dem auf gerade Mal fünf Fächern die Hemden liegen, wirkt mittelständisch-bescheiden, vergleicht man ihn mit der über eine freistehende Wendeltreppe erreichbaren, mit Marmor und Edelhölzern ausgebauten Galerie, die Gatsby bei Luhrmann als begehbare Garderobe dient. Die meisten Hemden sind – wie in einem Geschäft – von vornherein exponiert und nicht hinter Türen verborgen. „I’ve never seen anything like it“, ruft Daisy beim Betreten des Raumes aus. Gatsby wirft die Hemden von oben auf sie herab, nicht – wie bei Clayton – aus Augenhöhe an die Decke, wo sie gleichsam himmelan in der Luft tanzen. Bei Luhrmann fängt Daisy die Hemden in einem ekstatischen Spiel auf, versinkt in pastellfarbenem Stoffregen, fällt schließlich auf ein Bett aus Hemden, auf dem Gatsby sie unter den bunten Stoffen geradezu begräbt. Während die Angebetete in der Fassung von 1974 am Ende auf einem Stuhl zwischen den Stoffstücken sitzt wie eine erschöpfte Wühltischkundin nach dem Ausverkauf, liegt sie 2013 auf dem Bett, die nackten Beine verführerisch angewinkelt. 1974 krallt sich Daisy – von der Fülle beinahe unbeeindruckt – an einem einzigen Exemplar fest und schluchzt mit dem verlegen-dümmlichen Kichern eines Konsumpüppchens ins teure Tuch. 2013 wird die Szene ausgeweitet und mit zusätzlichem Dialog, der über die Buchvorlage hinausgeht, in eine andere Richtung gewendet. Denn zwischen Gatsbys Frage, warum sie traurig sei und Daisys berühmter Antwort mischt sich die Erzählerstimme Carraways, der als teilnehmender Beobachter am Hemdentanz teilnimmt: „Five lost years struggled on Daisys lips, but all she could manage was…“ – dann erst folgt der Satz, sie habe noch nie so schöne Hemden gesehen.

Geht es gar nicht um Warenfetischismus und demonstrativen Konsum?

Scheint hier, wie die Erzählerstimme nahelegt, in einem Dingsymbol die unwiederbringlich verlorene, gemeinsame Zeit auf? Kaum. Luhrmann vermittelt durch den Erzählerkommentar, den Verzicht auf Markennennung und die schiere Opulenz seiner Inszenierung eine umso stärkere Macht des Materialismus: die gemeinsame Zeit hätte keine andere Qualität gehabt als einen Wohlstand, der noch überspannter gewesen wäre als derjenige, den sie an der Seite ihres tumben Ehemanns Tom Buchanan ohnehin genossen hat. Sie liebt Jay als geschmackssicheren Superreichen und nur als diesen Superreichen.

Im Vergleich zum letztlich jedem zugänglichen Markenmainstream der Fassung von 1974 zeigt Luhrmanns zeitgenössische Variante die handgemachte, hochindividualisierte Warenwelt der wirklich Reichen. Hier manifestiert sich ein Überfluss, der keiner Markenzeichen mehr bedarf. Denn was könnte vulgärer sein, als seiner Aspiration durch Logos Ausdruck zu verleihen? Das einzige Logo, das Gatsby in seinem Anwesen zulässt, ist das eigene Monogramm auf dem Parkett.

F. Scott Fitzgerald: Der Große Gatsby. Roman. Übersetzt von Bettina Abarbanell. Zürich: Diogenes. 328 Seiten.

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27. Oktober 2013