Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Der Einkaufsratgeber von Stilcoach Katharina Starlay

Die Modedesignerin Katharina Starlay ist Stilcoach und entwirft Firmenkleidung. Jetzt hat sie einen Einkaufsratgeber vorgelegt. Hilft er dabei, Qualität zu erkennen?

Vor mehr als vierzig Jahren beklagte Wolfgang Fritz Haug in seiner Kritik der Warenästhetik „den radikalen Schwund an praktischer Warenkunde in der Bevölkerung“. An deren Stelle seien ästhetische Gebrauchswertversprechen getreten, die sich von der tatsächlichen Beschaffenheit der Produkte mehr und mehr entfernten. Ausgerechnet eine Imageberaterin macht sich nun daran, das Problem des marxistischen Kritikers zu lösen. Ihr im Verlag der Frankfurter Allgemeinen erschienenes Buch Clever Konsumieren verspricht im Untertitel Wertvolles Wissen für eine bewusste Wahl.

Starlays Buch will nicht das komplette Spektrum der Konsumangebote abdecken, sondern beschränkt sich auf diejenigen Bereiche, in denen sie sich auskennt: Textilien, Kosmetik und Accessoires. Es geht also um Dinge, die den eigenen Körper und Alltag unmittelbar betreffen.

Gleich zu Beginn macht die Autorin klar, dass Preis und Markenname keine verlässlichen Qualitätskriterien darstellen. Ihr Qualitätsbegriff ist produktorientiert und hebt immer wieder Aspekte der Fairness und ökologischen Verantwortung hervor:

„Textilien mit einem niedrigen Preis sind nur dann ein Schnäppchen, wenn der ursprüngliche Preis ehrlich ist und der Wert der Ware höher liegt. Billige Artikel sind keine Schnäppchen.“

Ihr Wissen bezieht Starlay unter anderem aus Experteninterviews, die in den Text integriert werden und eine Stärke des Buches ausmachen. Hier erfahren die Leserinnen konkrete Zahlen, die zu verbreiten Konzerne in der Regel wenig Interesse haben. Beispielsweise, dass die Produktionskosten eines gut verarbeiteten Blazers in Italien etwa 100 Euro betragen, in Vietnam hingegen nur 3 Euro. Oder dass ein in Europa gefertigtes Hemd in der Herstellung bis zu 20 Euro kostet. Interessant auch, dass Ketten wie H&M pro Teil Stückzahlen von 100 000 Exemplaren erreichen und die Handelsspanne im Textilbereich zwischen den Faktoren 2,5 und 5 liegt.

Starlay Clever Konsumieren

Das Bemühen der Autorin um Detailliertheit findet seinen Niederschlag in zahlreichen Checklisten. So hilfreich sie im einzelnen sein mögen, so sehr verrät die Überkonkretheit dieser Kasuistik freilich auch das (angenommene) Ausmaß warenkundlicher Verunsicherung. Starlays Buch ist voller Ratschläge der Art, man solle „Wäsche möglichst schnell aufhängen, damit die Ware nicht so stark einknittert.“ Wer hätte das gedacht! Die Fülle der Kriterien stellt ein Grundproblem von Starlays Ansatz dar: Es sind so viele, dass man sie sich im einzelnen kaum merken kann. Allein die in grauen Kästen präsentierten Checklisten summieren sich auf insgesamt 184 Punkte. Dadurch stehen die Leserinnen nach der Lektüre gleichsam auf höherer Stufe erneut ratlos da – und müssten einen professionellen Coach wie die Autorin engagieren!

Starlays Hintergrund im Bereich der Berufs- und Businessbekleidung schlägt allenthalben durch. Positiv, indem der Text vom soliden Wissen und den guten Kontakten der Autorin profitiert. Auf problematische Weise, weil sie Qualität letztlich als ein Mittel zum Karrierezweck und als Belohnung für beruflichen Erfolg begreift:

„Verhandeln fällt eben leichter und Erfolge sind einfach schöner, wenn die Füße dabei nicht schmerzen!“

Qualität als Eigenwert gerät aus dem Blick, wenn sie vor allem auf einen korrekten und wirksamen Auftritt ausgerichtet ist:

„Wer viel reist, kann mit stark knitteranfälligen Geweben nichts anfangen, sie kosten die gepflegte Erscheinung und damit das Image.“

Erscheinung, Image, Stil: das sind die heimlichen Fluchtpunkte dieses Buches. Die von der Warenästhetik verdrängte Warenkunde kehrt als Vehikel zur Selbstpräsentation zurück. Ein Paradox, das den Primat des Ästhetischen lediglich vom Gekauften zur Käuferin, vom Objekt auf das Subjekt verlagert.

Solange Warenkunde auf Checklisten für Ehrgeizige zuläuft, muss das Verständnis von Qualität an der Oberfläche bleiben. Selbst dann, wenn die angeführten Kriterien durchaus Hand und Fuß haben.

Katharina Starlay: Clever konsumieren. Wertvolles Wissen für eine bewusste Wahl. Frankfurt/Main: Frankfurter Allgemeine Buch 2014. 240 Seiten. 17,90 Euro.

10. Dezember 2014