Der Blog von Dirk Hohnsträter
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Facebook Instant Articles: Tod durch Ladezeit

Die wichtigste Meldung der Woche stand auf Seite 13, jedenfalls in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ausgabe Nr. 111 vom 15. Mai 2015). Sie lautet: Facebook bietet ein neues Produkt mit dem Namen Instant Articles an. Es offeriert im Rahmen der mobilen Facebook-App Artikel, die beispielsweise von der New York Times, dem Guardian und dem Spiegel stammen. Sie bauen sich, so die Betreiber, zehn Mal so schnell auf wie im herkömmlichen Browser, wo die durchschnittliche Ladezeit eines Artikels zähe acht Sekunden betrage.

Facebook Instant Articles

Das Bemerkenswerte: Die Blätter (ebenso Sender wie die BBC) liefern ihr Kernprodukt an Facebook, ohne vom Konzern oder den Lesern auch nur einen Cent dafür zu erhalten. Und im Gegensatz etwa zu den Facebookfeeds dieses Blogs, die die Lektüre eines kompletten Artikels nur erlauben, wenn man den Link zur Blogsite selbst anklickt, liefert Instant Articles die vollständigen Beiträge mitsamt ihrer multimedialen Einbettung. Einzige Gegenleistungen von Facebook: Nutzerdaten und Anzeigenplatz. Ein beklemmenderes Bild der (angenommenen) medialen Kräfteverhältnisse kann man sich kaum vorstellen.

FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld kommentiert:

„Facebook wird zum Verleger – mit den Inhalten anderer, die sich auch noch darüber freuen, dass sie ihre Werke kostenlos abgeben dürfen. Man muss sich das entsprechende Werbevideo von Facebook antun: Da sehen wir Journalisten mit Stockholm-Syndrom, die mit glänzenden Augen erzählen, wie schnell ihre Story bei Facebook aufpoppt. Als wäre das ein Gnadenerweis, als gäbe es außerhalb von Facebook kein Leben in der Online-Welt. Die Kollegen hinterlassen einen erbarmungswürdigen Eindruck.“

Die mit Advertorials begonnene Selbstaufgabe führender Qualitätsmedien schreitet mit dem Facebook-Pakt voran. Während Native Ads Anzeigen dem redaktionellen Look and Feel anpassen, erlauben Instant Articles die Anpassung der redaktionellen Inhalte an das Anzeigenumfeld. Hanfeld:

„Was die Verlage sich davon versprechen, Facebook als Herrscher zu akzeptieren, ist klar: Aufmerksamkeit für die Marke, Einblick in die Vorlieben der Leser, den man dann für sich zu nutzen sucht – einer Geschichte, die bei Facebook gut läuft, folgt die nächste gleicher Art und so fort. Das wird den Journalismus grundsätzlich verändern, er wird anders geschrieben und gesendet werden, er wird sich vermeintlichen Vorlieben anpassen und auf eine Schiene der Zensur und Selbstzensur geraten, die Facebook legt.“

Was Hanfeld nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass sich Facebooks neues Angebot ein tieferliegendes technologisches Problem zunutze macht: die Performanceschwäche klassischer Browser gegenüber nativen Apps. Jeder Abonnent des ans Unbenutzbare grenzenden E-Papers der FAZ weiss, wie weit die Kluft zwischen dem digitalen Angebot der Zeitung und der High-End-App des Sozialen Netzwerkes bereits klafft. Doch selbst ein versierter Programmierer wie John Gruber befürchtet, Facebooks schnelle Technologie könnte sogar einer textlastigen Site wie seinem Blog Daring Fireball schaden und das klassische, browser-basierte Internet alt aussehen lassen:

„I worry that the inherent slowness of the web and ill-considered trend toward over-produced web design is going to start hurting traffic“

Lange schon versucht Facebook sich als Netz im Netz zu etablieren, und wie es aussieht, gelingt dem Konzern mit Instant Articles nicht nur contentlogistisch, sondern auch technologisch dabei ein großer Schritt nach vorne. Bereuen werden es die Verlage gleichwohl, an die Stelle eigener Lösungen den Pakt mit Facebook eingegangen zu sein, glaubt M. G. Stiegler von Google Ventures, der den Markt schon lange aufmerksam beobachtet:

„You’re essentially outsourcing the presentation and distribution of your content. It may even work. But you’re signing up to be someone else’s ‚bitch.‘ That usually doesn’t end well.“

Vieles spielt zusammen: ein Wirtschaftsmodell, das sich nicht über den Wert von Produkten finanziert, sondern über Anzeigen für andere Produkte; ein Journalismus, der nicht mehr an sich selber glaubt und sich vielleicht nicht einmal mehr selbst versteht; Nutzer, die zu bequem sind, Nachrichten aus mehr als einer Anwendung zu beziehen. Die Entwicklung spielt sich überdies so schnell ab, dass beim überrumpelten Publikum der Groschen erst fällt, wenn das gerade Begriffene bereits wieder von gestern ist.

Welchen Spielraum lässt der aktuelle Strukturwandel der Öffentlichkeit zu? Der Weltpresse bleibt nur, sich sehr genau über die eigene Qualität Klarheit zu verschaffen und immer dann eine Linie zu ziehen, wenn diese in Gefahr ist. Blogger sind gut beraten, selbstbewusst ihre Qualitätsnische einzunehmen und ihr Webdesign permanent zu verbessern. Nutzer schließlich sollten es sich sehr gut überlegen, wann sie den Like-Button drücken. Und ob überhaupt.

Lesen Sie hier, warum man sein Facebook-Konto löschen sollte und wie es geht.

Foto: © Facebook

22. Mai 2015