Die beste Schreib-App: Erfahrungen mit iA Writer
iA Writer ist die beste Schreib-App. Für iOS, Mac and Android bereits zwei Millionen Mal heruntergeladen, kommt die Anwendung jetzt für Windows, begleitet von einer Kickstarter-Kampagne. Ich schreibe jeden Post dieses Blogs auf der App und habe bereits die ersten drei Versionen davon rezensiert. Was bringen die aktuellen Fassungen? Meine Erfahrungen mit iA Writer.
Eine App gegen die Ablenkung
Ein ruhiger Raum. Ein leeres Blatt Papier. Mit solchen Vergleichen beschreiben viele Nutzer die Schreib-App iA Writer. Sie haben Recht. Oliver Reichenstein, Gründer der Agentur Information Architects (iA) und selbst einer der lesenswertesten Autoren der jüngst wieder Auftrieb bekommenden Blogosphäre, veröffentlichte kürzlich einen Post über das Prokrastinieren. Ein wenig zu schnell zum Produkt überleitend, in der Sache jedoch brillant, brachte er auf den Punkt, warum wir uns (vom Schreiben) ablenken lassen:
„Distractions allow us to delay the moment of truth where we need to show who we really are, what we can really do, where we need to expose ourselves, prove ourselves, and ultimately face the mirror of reality. (…) We procrastinate to protect ourselves. We might get rejected. We might get no response. We might find out that we are not as great as we hope to be. And while we procrastinate, others advance.“
Der Artikel bewirbt iA Writer als ein Werkzeug, das konzentriertes Schreiben ermöglicht und begünstigt:
„If you want to get things done, avoid excuses and focus. Focus on the job. (…) Avoid busy apps, loud environments, distracting habits… and people that give you excuses to waste time. It is less painful to underachieve when not really trying. You can then blame it on externalities.“
Natürlich wird, wer die App kauft, nicht automatisch produktiv. Doch dass Interfaces kreative Prozesse erleichtern oder erschweren können, zählt zu den wichtigsten Dingen, die man über Design lernen kann. So wird die Aussicht, etwas zuwege zu bringen, zum eigentlichen Produktversprechen von iA Writer – und zu einer Reflexion über die App selbst, die in den vergangenen sieben Jahren eine Reihe von Veränderungen, die nicht immer Verbesserungen waren, erfahren hat:
„Once you’ve started, the hardest part is behind you. You build something, rework it, refine it. It gets better the more time, courage, and devotion you put in.“
Warum ist iA Writer die beste Schreib-App?
iA Writer ist die beste Schreib-App, weil sie durch und durch von der Idee getragen ist, einen konzentrierten Schreibprozess herbeizuführen. Man merkt ihr an, dass sie von Menschen gemacht wird, die wissen, wie kreative Prozesse ablaufen. Das beginnt bei der angenehmen, leicht grauen Hintergrundfarbe und dem exzellenten Nitti-Font. Im Focus Mode wird bereits geschriebener Text schwächer angezeigt; nur der Satz, an dem man gerade arbeitet, erscheint in voller Stärke; die Funktion Syntax Highlight hebt einzelne Wortarten hervor, um Wiederholungen und Fehler leichter aufzufinden. Zudem erleichtert eine effiziente Rechtschreibprüfung in mehreren Sprachen das Arbeiten. Dank nahtlosem Synchronisieren mit Cloud-Services kann man die Arbeit an einem Text von jedem beliebigen Gerät aus fortsetzen.
Zu den größten Vorzügen der App gehört die Festlegung aufs txt-Format (der Export von Dokumenten in DOCX, PDF, HTML, WordPress oder Medium ist gleichwohl jederzeit möglich). Da txt-Dokumente plattformübergreifend funktionieren, kann man Textbausteine beispielsweise aus Websites oder Word-Dokumenten verlustfrei in iA Writer übertragen. In meiner eigenen Schreibpraxis hat sich die App daher längst zu einem Umschlagort von Snippets diverser Herkünfte entwickelt, ohne dass ich das Kopierte und Eingefügte jemals nachformatieren müsste.
Der plattformübergreifende Charakter des txt-Formates hat einen weiteren, geradezu politischen Vorzug: Er ist, so weit digitale Dokumente das überhaupt sein können, vergleichsweise zukunftssicher. Während etwa alte Word-Dokumente schon heute nicht mehr ohne weiteres geöffnet werden können, haben txt-Files selbst dann Bestand, wenn es iA Writer eines Tages nicht mehr geben sollte: Sie lassen sich mit jedem Texteditor öffnen und weiterverarbeiten. Näher kann ein digitales Schreibprodukt in Sachen Resilienz kaum ans gedruckte Wort heranrücken.
iA Writer und die Einfachheit
In einem augenöffnenden Post hat Oliver Reichenstein einmal verglichen, wie viel Code die Zeile Hello World in .txt und in .docx erfordert. Die Gegenüberstellungen, darunter die folgende, sprechen für sich:
Abbildung: © Information Architects
Kein Wunder, dass iA bei der Kickstarter-Kampagne für eine Windows-Version des Programms humorvoll auf die Eliminierung des Überflüssigen setzt:
Freilich sind selbst die versierten Entwickler eines so minimalistischen Produktes wie iA Writer nicht frei davon, der Gefahr des Überfrachtens zu erliegen. Zwischenzeitlich fiel das Interface der App zu komplex aus. Die jüngsten Versionen 4 (Mac OS) und 5 (iA) zeigen allerdings, wie gut iA Labs den Nutzern zuhört: Manche Innovation, manches neue Feature, das nicht zu überzeugen vermochte, verschwand konsequenterweise mit dem nächsten Update wieder. In einer Zwischenbilanz räumte Reichenstein die Schwierigkeit ein, Funktionen hinzuzufügen und gleichwohl die ursprüngliche Einfachheit beizubehalten:
„The main design challenge we are facing: simplify the user interface, so it becomes as light as the very first Writer, yet stay feature par and compatible with the last version.“
Die bislang gefunden Lösungen beeindrucken: Am Fuß des Programms findet sich eine schmale Leiste, die erst durch Cursorkontakt eingeblendet wird, mithin nicht vom Schreiben ablenkt. Durch Wischgesten kommen Seitenleisten mit Ordnern (links) und formatiertem Text (rechts) zum Vorschein, ohne dass man das Dokument verlassen muss. Und in der Mobilversion sind sämtliche Funktionen so in das Keyboard eingebaut, dass man die Finger praktisch nie von der Tastatur nehmen muss.
Ein außergewöhnlich eleganter Einfall war es, die mit iA Writer 4 eingeführte Bild- und Tabellenintegration über Textzeilen mit Dateiendungen (.jpg, .csv etc.) zu bewerkstelligen. Bei dieser sogenannten transclusion können Bilder und Tabellen in Text integriert werden, ohne mit dem konzentrierten Schreiben in Konflikt zu geraten, denn sie werden nur im formatierten Modus als Bilder und Tabellen angezeigt. iA:
„We figured simply adding file names could do the trick. This would let us move blocks of content around without losing the benefit of the raw format.“
Ein Video verdeutlicht das Arbeiten mit Extensionen. Wie schon beim resilienten txt-Format steckt auch in der konsequent textorientierten Extensions-Syntax geradezu ein in Code gegossenes, politisches Statement. Denn diese Form der Arbeit an Dokumenten übt eine Aufmerksamkeitsökonomie ein, die eine ruhige, überlegte Umgebung rasch vorbeirauschenden, audio-visuellen Reizen vorzieht.
Ursprünglich von Ted Nelson, dem Vater des Hypertext, als Text-im-Text-Einbettung erfunden, ermöglicht das Extensionsprinzip zudem die Komposition längerer Dokumente in iA Writer. Der Mangel, dass das txt-Format sich bislang kaum für das Verfassen umfangreicher Bücher eignete, wird dadurch behoben. Darüber hinaus ist mit der file referencing syntax ein System etabliert, das durch die freie Zusammenstellung sogenannter content blocks Writer zu einem Layout-Tool erweitert, ohne dass es auch nur einen Hauch von seiner textbasierten Anmutung und seinem elementaren Erscheinungsbild verliert.
Ist iA Writer die beste Schreib-App? Ich habe viele ausprobiert und bin am Ende immer wieder auf iA Writer zurückgekommen. Die Anwendung erfordert ein wenig Einarbeitung (etwa wenn man die Markdown-Sprache verwenden will) und die Umstellung mancher Gewohnheit. Doch je länger man sie benutzt, desto weniger will man sie missen. Simple always wins.
Wer iA Writer für Windows unterstützen möchte, kann bei der Kickstarter-Kampagne mitmachen.
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25. Januar 2018