Markenaktivismus. Haltungsmarketing zwischen Woke-washing und wirklichem Wandel
Schwarze Quadrate auf Instagram, Kampagnen gegen Diskriminierung: die Proteste gegen strukturellen Rassismus und Gewalt haben einen neuen Schub moralischer Markenkommunikation ausgelöst. Werden Unternehmen zu Agenten des kulturellen Wandels oder handelt es sich bei purpose driven branding um verlogene Bekenntnisgesten, die politische Proteste zwecks maximaler Gewinnerwirtschaftung ausbeuten? Ein Versuch über den Markenaktivismus.
„This isn’t a fight that started last week, or a struggle that ends with a hashtag, it’s our every day.“
Sagal Muse
Markenkommunikation und Moral
Wenn Menschen gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung auf die Straße gehen, stehen Unternehmen vor einer Herausforderung. Setzen sie ihre übliche Werbekommunikation fort, kann diese irrelevant, ja unangebracht wirken. Verbreiten sie hingegen politische Botschaften, werden die Kampagnen rasch als ununterscheidbar, wohlfeil oder sogar instrumentalisierend wahrgenommen. Beispiele für missratenen Markenaktivismus gibt es viele, etwa jene, über die der Guardian vor einiger Zeit berichtete:
„Marks & Spencer launched its LGBT sandwich – basically, your classic BLT with some gay guacamole thrown in (…) Lacoste announced it would swap its trademark crocodile logo for 10 limited-edition polo shirts featuring a different endangered species instead“
Zumal wenn es um so sensible Themen wie strukturelle Diskriminierung und Gewalt geht, kann Haltungsmarketing rasch in einem PR-Desaster enden, wie sich besonders eindrücklich an einem platten Pepsi-Spot mit Kendall Jenner zeigte, der Bernice King, die Tochter Martin Luther King Jr. und Coretta Scott King, zu der bitteren Bemerkung veranlasste „If only Daddy would have known about the power of #Pepsi.“
Unternehmen zwischen Idealismus und Gewinnmaximierung
Ist es also ratsam, dem Markenaktivismus gegenüber eine grundsätzlich skeptische Haltung einzunehmen? Owen Jones vom Guardian argumentiert in diese Richtung:
„surely no company is going to launch an advertising campaign if it thinks it will lose money; therefore, by definition, any social justice-orientated marketing is driven primarily by money, not advancing the cause of human progress“
Doch so naiv es wäre, Unternehmen ausschließlich altruistische Motive zu unterstellen, und so klar es auch ist, dass Firmen stets und oftmals vor allem Gewinne erwirtschaften wollen, so wenig muss dies bedeuten, dass sie nicht auch soziale Ziele verfolgen können. Was ist gewonnen, wenn Kritiker den Akteuren durchweg ihre ehrlichen Absichten absprechen?
Aus Unternehmenssicht ist Haltungsmarketing vielfach die einzige Möglichkeit, bestimmte, nicht zuletzt jüngere, den Millenials oder der Generation Z zugehörige Konsumentinnen zu erreichen. Diese wollen wissen, wofür eine Firma steht. Hält man sich vor Augen, dass Wirtschaftsunternehmen auch ohne Markenaktivismus immer schon politische Akteure sind (indem sie auf die natürliche Umwelt und das Leben von Arbeitskräften einwirken, Steuern zahlen oder nicht zahlen, Lobbyismus betreiben und durch Werbung bestimmte Lebensstile propagieren), kann Unternehmenskommunikation ohnehin nicht unpolitisch sein. Warum also nicht gleich Klartext reden und sich dadurch den Fragen einer kritischen Öffentlichkeit nach der Glaubwürdigkeit der ausgestrahlten Botschaften aussetzen?
Aus der Sicht sozialer Bewegungen muss es nicht von vornherein nachteilig sein, wenn sich professionelle Kreative ihrer Anliegen annehmen. Nicht selten sind die Kommunikate kommerzieller Agenturen denen von Non-Profit-Organisationen überlegen und verschaffen relevanten Botschaften im Kampf um Aufmerksamkeit Gehör. Andererseits erwecken gut gemachte Werbekampagnen unwillkürlich den Eindruck, durch Kaufakte allein ließen sich politische Strukturprobleme lösen, was zu einem Rückgang politischen Engagements beitragen kann. Zudem können heuchlerische Kampagnen den Idealismus der Akteure beschädigen und einem resignierten Zynismus Vorschub leisten.
In diesem unübersichtlichen Argumentationsfeld ist es nicht leicht, zu einer überzeugenden Position zu finden. Was zeichnet glaubhaften Markenaktivismus aus?
Markenaktivismus im Glaubwürdigkeitstest
In der Diskussion politischer Haltungskommunikation fallen immer wieder zwei Ausdrücke, die auch zur Beurteilung von Markenaktivismus herangezogen werden können: virtue signalling (das Zurschaustellen der eigenen moralischen Vortrefflichkeit) und woke-washing (lediglich vorgetäuschte Wachsamkeit gegenüber Diskriminierungen). Während virtue signalling demonstrative Selbstgerechtigkeit zurückweist, aber kein Sachkriterium zur Bewertung politischer Positionierung vorschlägt, zielt Woke-washing auf die Diskrepanz von Botschaft und Verhalten und eröffnet damit eine Möglichkeit wirksamer Kritik: Reflektiert ein Unternehmen seine eigene Rolle? Welche konkreten Handlungen begleiten die Kampagne und befördern den Wandel?
Callia Hargrove, Gründerin der auf purpose fokussierten Beratungsfirma Backstory, entwickelt Marketingstrategien „to help share your brand’s story with the world through the lens of diversity and inclusion“. In einem Interview mit Dan Frommer hebt sie Ehrlichkeit und Selbstverpflichtung als zentrale Glaubwürdigkeitsmerkmale hervor. Ähnlich argumentiert die Journalistin und Markenstrategin Arwa Mahdawi. Sie beobachtet Markenaktivismus und Woke-washing seit vielen Jahren und hat einen der gedankenreichsten Artikel zum Thema verfasst. Darin vertritt sie die Auffassung, dass social justice sells zwar einen Fortschritt gegenüber sex sells darstellt und zu einem Mainstreaming kritischen Bewusstseins beitragen kann, die positive Wirkung jedoch davon abhängt, ob die Unternehmen praktizieren, was sie predigen. Mahdawi gibt sprechende Beispiele:
„Then there is Fearless Girl. The much-lauded sculpture was commissioned by State Street Global Advisors to advertise an index fund featuring companies with a high percentage of female leadership. In a completely predictable twist of fate, it transpired that State Street was accused of underpaying its female employees. Similarly, Audi spent millions on a feminist Super Bowl spot last year [2017], which proclaimed: ‚Audi of America is committed to equal pay for equal work.‘ As many people quickly pointed out, Audi has no women on its executive team. You’ve got to hire women before you pay them equally, you know.“
Enthüllung dieser Art betreffen nicht nur traditionell konservative Branchen wie die Finanz- und Automobilindustrie, sondern auch hippe Startups. Mahdawi:
„Feminist Apparel, for example, is an online retailer which sells T-shirts and totes featuring phrases such as ‚cats against catcalls‘ and ‚pizza rolls not gender roles‘. In June, the company’s staff discovered that the founder and chief executive, Alan Martofel, had admitted to a history of abusing women. The staff asked Martofel to resign; he responded by firing all of his employees.“
Gerade weil Markenaktivismus so eingängig ist und ein so gutes Gefühl bei den Konsumentinnen hinterlässt, muss genau hingeschaut werden. Apple, beispielsweise, bietet für seine Watch ein Pride Edition Sportarmband aus regenbogenfarbenen Fluorelastomer-Streifen an, das mit folgendem Text beworben wird:
„Apple unterstützt Organisationen, die LGBTQ Interessen vertreten und sich für positive Veränderungen einsetzen – darunter GLSEN, PFLAG, The Trevor Project, Gender Spectrum, The National Center for Transgender Equality, Encircle und SMYAL in den USA und ILGA World weltweit.“
Auf der chinesischen Apple-Website fehlt dieser Hinweis jedoch, auf der russischen und saudi-arabischen wird das Produkt gar nicht erst angeboten – ausgerechnet in jenen Ländern also, die Minderheiten besonders brutal verfolgen.
Wirklicher Wandel
Vor vier Jahren setzte Arwa Mahdawi die satirische Website RENT-A-MINORITY auf. Unter dem Slogan „We have a minority for every occasion“ bot sie darauf „Diversity On-Demand“-Dienstleistungen an. Zu ihrem Erstaunen erhielt Mahdawi „genuin business inquiries from big companies“, die Personen wie den „Intellectual Black Guy“ oder die „Smiling Muslim Woman. Certified not to support ISIS (or your money back)“ mieten wollten. Wie ernst mag es solchen Unternehmen mit ihrem „purpose“ sein?
Wer diskriminierungskritisch kommuniziert, sollte beispielsweise Antwort auf folgende Fragen geben können:
- Hat der Konzern seine eigene Geschichte kritisch aufgearbeitet, insbesondere hinsichtlich kolonialistischer Verstrickungen?
- Werden Einstellungsprozesse anonym durchgeführt, so dass die Entscheider/innen nichts über Geschlecht und ethnische Herkunft der Kandidaten wissen?
- Ist der Konzern gewillt, Anzeigen bei Facebook und Google abzuziehen, wenn es diesen nicht gelingt, extremistische Inhalte aus ihren Plattformen zu entfernen?
Es genügt nicht, ein neues Männlichkeitsbild zu propagieren, wie Gillette es 2019 in einem Spot tat, wenn derselbe Konzern weiterhin von Frauen höhere Preise für seine Rasierklingen verlangt als von Männern, geschweige denn einen Unisex-Rasierer anbietet.
Am Ende hängt die Glaubwürdigkeit des Markenaktivismus an Transparenz und Taten: Wer keine Steuern zahlt, sollte über community-building schweigen, wer in Sweatshops produziert, hält sich mit Gerechtigkeitsreklame besser zurück, und wer Fast Food verkauft, setzt lieber nicht auf Achtsamkeits-Anzeigen.
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Der Medienunternehmer Ravi Amaratunga Hitchcock bringt das Problem auf den Punkt, wenn er Unternehmen rät, to „care about impact, not Instagram posts“:
„Ask yourself this: is your brand or agency trying to post about a cause because it truly cares about supporting it and taking action over a long period of time to tackle it (ie the next three decades)? Or is it trying to capitalise on a trending topic to be ‚relevant‘? Is it trying to be seen to be part of the ‚conversation‘ or to get people to emotionally engage with your brand because of your ’shared values‘? (…) If you really want to make change, why does it have to be about your brand at all? Why does your brand have to be the centre of attention, perhaps taking it away from those who really need the platform? (…)
As brands scramble for relevance at a time when innocent black people are dying, perhaps being silent on social and acting in collaboration with real change-makers is the best policy.“
Lesen zum Verhältnis von Konsum und Politik auch die Artikel über
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18. Juni 2020