Der Blog von Dirk Hohnsträter
Newsletter

Das Zeitalter der Abonnements. Inhaltsökonomie im Internet

Vor zehn Jahren erschien Jeremy Rifkins Buch The Age of Access. Seine Prognose, dass wir im Informationszeitalter „weniger besitzen und mehr ausgeben werden“, ist unterdessen im Alltag angekommen: Streamingdienste ersetzen die Schallplattensammlung, digitale Abonnements den Kauf gedruckter Zeitungen. Das neueste Produkt auf dem Zugangsmarkt: E-Mail-Newsletter. Eine Betrachtung über die Inhaltsökonomie im Internet anlässlich des siebenjährigen Bestehens dieses Blogs.

Abonnements: Flexibilität mit hohen Fixkosten

Haben Sie noch den Überblick über alle Zahlungen, die jeden Monat für digitale Dienste von ihrem Konto abgehen? Produkte wie Spotify, Apple Music, Amazon Prime, Netflix, Digitalabos diverser Zeitungen, Cloud-Speicher, datenschutzfreundliche E-Mail-Angebote, Passwortmanager, VPN-Clients – sie alle erfordern wiederkehrende Zahlungen. Auf immer mehr zugangsbasierte Dienstleistungen möchte man vor allem wegen ihrer geräteübergreifenden Synchronisierung und ortsunabhängigen Zugänglichkeit nicht mehr verzichten.

Cloud

Der Preis dafür ist freilich nicht nur ein finanzieller, sondern im Fall der Inhaltsökonomie auch ein kultureller. Denn während etwa Streamingdienste die physische Last der Dinge verringern und somit Reisen und Ortswechsel erleichtern, geht im Kündigungsfall alles verloren: die Songs, die man einen erinnerungswürdigen Sommer lang gehört hat, werden unwiederbringlich von allen Geräten gelöscht, Unterstreichungen, die von einer intensiven Buchlektüre zeugen, verschwinden in den Datenbanken überwachungskapitalistischer Konzerne.

Abonnements

Auch als Blogger steht man vor dem Risiko, den Zugriff auf seine Inhalte zu verlieren. Wer nämlich Artikel in Sozialen Medien veröffentlicht, gibt seine Urheberrechte faktisch an die Betreiberkonzerne ab. Löscht eine Firma einen Post oder gar ein ganzes Konto, sind die Inhalte von heute auf morgen aus dem Netz verschwunden. Selbst wer lediglich Dienste nutzt, bei denen Hosting und Content Management System in einer Hand liegen (wie etwa bei Squarespace), kann Design und Inhalt seiner Website nicht ohne Weiteres auf einen anderen Server übertragen. Schon aus diesem Grund bin ich froh, bei der Gründung dieses Blogs vor nunmehr sieben Jahren auf die unabhängige, quelloffene Plattform WordPress gesetzt zu haben.

Inhaltsökonomie: „The Truth Is Paywalled But The Lies Are Free“

Die Ausgangsidee des World Wide Web bestand darin, dass jeder Mensch seinen eigenen Ort im Netz hat: die unabhängige Website. Blogs und RSS-Feeds bauten auf diesem Gedanken auf. Mit dem Siegeszug von Social Media formierten sich sogenannte silos of content, Anbieter wie Facebook und Twitter versuchten erfolgreich, ein eigenes, geschlossenes Netz innerhalb des WWW zu errichten, womit zum einen die unterdessen berüchtigten Filterblasen, zum anderen eine Quasi-Enteignung der ‚Contentproduzenten‘ einherging.

Greg Satell im Harvard Business Review:

„The problem is that content isn’t king. Content is crap. We never call anything that’s good ‚content.‘ Nobody walks out of a movie they loved and says, ‚Wow! What great content!‘ Nobody listens to ‚content‘ on their way to work in the morning. Do you think anybody ever called Ernest Hemingway a ‚content creator‘? If they did, I bet he would punch em in the nose.“

Als Gegenbewegung zu den Social-Media-Konzernen bildeten sich zum einen idealistische Nischendienste wie Micro.blog heraus, zum anderen und vor allem: Bezahlschranken. Ohne die mit Filterblasen einhergehende, politisch hochgefährliche soziale Fragmentierung zu beseitigen, formiert sich nach (und neben) frei zugänglichen Websites und geschlossenen sozialen Netzwerken derzeit eine dritte Art der Inhaltsdistribution im Internet. Sie basiert auf Abo-Modellen, sei es von Zeitungen, die ihre qualitativ hochwertigsten Texte immer öfter hinter aufdringlichen Paywalls verbergen, sei es von unabhängigen Autoren, die durch Newsletter mit ihren Leserinnen und Lesern kommunizieren.

Paywall

Unter dem Titel The Future of Nonconformity machte David Brooks in der New York Times kürzlich darauf aufmerksam, dass immer mehr „heterodox writers“ sich mit eigenen Newslettern selbständig machen. Die Finanzierungsmodelle unterscheiden sich: Paul Jarvis, ein Veteran des E-Mail-Marketing, gibt seine Sunday Dispatches kostenlos ab und wirbt in ihnen gelegentlich für seine eigenen Bezahlprodukte. Kai Brach finanziert seinen empfehlenswerten Newsletter Dense Discovery durch diskret eingefügte Anzeigen. Dan Frommer verlangt für seine per E-Mail verschickten Marktanalysen unter dem Titel The New Consumer 200 US-Dollar pro Jahr, während Andrew Sullivans Weekly Dish für mindestens 50 Dollar zu haben ist (wer will, kann mehr geben). Am 7. August schrieb Sullivan an seine Abonnenten: „Thanks so much for your support — total subscriptions are now over 70,000, and paid subs are nudging 10,000.“ Sein Jahreseinkommen durch den Newsletter beträgt nach Angaben der New York Times derzeit eine halbe Million Dollar.

Während etwa Frommer auf ein WordPress-basiertes Distributionsystem setzt, verlassen sich immer mehr Autoren, unter ihnen auch Sullivan, auf die seit 2017 existierende Newsletterplattform Substack, die Autoren eine anzeigenfreie, abobasierte Veröffentlichungsinfrastruktur bereitstellt. Noch ist jeder von ihnen ein Einzelkämpfer, doch bereits jetzt beginnen verschiedene Autoren, Kollegen zu empfehlen. In der Zukunft könnten Bundle-Lösungen die Vereinzelung durchbrechen.

Newsletter

Das Newsletter-Modell ermöglicht es Autoren, ihre Existenz unabhängig von großen Gatekeepern zu sichern. Freilich setzt dies eine hinreichende Reichweite voraus, die sich die erfolgreichsten unter den Newsletterbetreibern in der Regel in den Mainstream-Medien erarbeitet haben.

Will man vielen interessanten Stimmen folgen, bedeutet dies den Abschluss zahlreicher Abonnements, was in der Summe signifikante regelmäßige Kosten verursacht. So wird der Zugang zu relevanten, hochqualitativen Inhalten zu einem Privileg derer, die sich diese Abonnements leisten können und wollen. In den Worten von Nathan J. Robinson:

„The Truth Is Paywalled But The Lies Are Free“

Drei Tipps zum Navigieren in der Inhaltsökonomie

Was folgt aus diesen Überlegungen für Nutzerinnen und Nutzer, die mit begrenzten Ressourcen an Geld und Zeit möglichst klug im Netz navigieren wollen?

Lokale Backups erstellen

Wer an seinen Inhalten hängt und nicht von unerreichbaren Konzernen abhängig sein möchte, kann zwar cloud-basierte Speicher nutzen, sollte aber auf lokale Backups nicht verzichten. Will man sich auf der sicheren Seite fühlen, empfehlen sich regelmäßige Kopien auf externen Speichermedien und deren Lagerung an unterschiedlichen Orten.

Feedreader für Abonnements nutzen

RSS, so sperrig die Abkürzung auch klingt, ist eine der großartigsten Technologien des World Wide Web. Feedreader wie Feedbin ermöglichen es, gegen eine geringe Gebühr Nachrichten und Blogs sowie Twitterfeeds und Newsletter in einer einem E-Mail-Programm ähnelnden Ansicht anonym zu beziehen.

Zwar bieten eine Reihe von Zeitungen und Magazinen unterdessen nicht mehr sämtliche (und bisweilen auch gar keine) Inhalte kostenlos an, doch mit ein paar Tricks (wie dem Löschen der Cookies im Browser oder dem zeitweiligen Deaktivieren von JavaSkript) kann man durchaus mehr lesen als es zunächst den Anschein hat.

Unabhängigkeit unterstützen

So sehr eine Vielzahl von Abonnements ins Geld gehen kann, so sehr sollte man die Möglichkeit erwägen, unabhängige Zeitungen, Magazine und Autoren durch ein Abonnement zu unterstützen. Nathan J. Robinson:

„It costs money to produce good writing, to run a website, to license photographs. A lot of money, if you want quality. (…) I try not to grumble about having to pay for online content, because I run a magazine and I know how difficult it is to pay writers what they deserve.“

Lesen auch die Artikel über

Abbildungen: Round Icons*

10. September 2020